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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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und
gemächlich aus dem Stein wachsen, sondern den Beton sprengend herausstürmen und
dabei den flohkleinen Menschen zerquetschen, der, aufblickend, gelähmt im
Genick, taumelig wie nie mehr bei Trost, sich unter ihren Zehen herumtreibt.
Auf zyklopischen Pferden, mit Helmzieren um die Stirnen, betongegossenen, groß
und plump wie die Stockwerke eines Plattenbaus.
    Sage
noch jemand, Arno Breker sei Gigantenhauer gewesen, ach was, Breker hatte sich
in Zwergenspielen geübt, in wohlproportionierten obendrein, verglichen mit
diesem Kampfzar und seiner Schar Auserwählter.
    Ein
Sorgobesen her, ein großer für den großen Kehraus. Die Voraussetzung, dass die
Bulgaren eines Tages wieder guter Dinge werden können, dass ihr verwüstetes
Land wieder ein Maß findet und der Väterspuk bleibt, wo er hingehört: im
Luftigen. Lieber keinen Existenzgrund in der Geschichte besitzen als einen so
fatal zurechtgehauenen.
    Rumen
ist erregt, das sieht man ihm an. Hunderterlei Erklärungen liegen ihm auf der
Zunge. Seine Wangen zucken.
    Er
fährt sich durch die Haare, raucht, schüttelt das Handgelenk mit der
umgeschnallten Uhr, wendet sich raschen Schritts dahin und dorthin. Mit meinem
Widerstand hat er sicher gerechnet, aber dass sich meine Schwester nun abwendet,
und zwar viel radikaler, als ich es je könnte, darauf war er nicht vorbereitet.
Seine Angehimmelte, diese durch und durch hermetische Frau, setzt jetzt ihre
Hauptwaffe ein. Sie ist nicht mehr anwesend. Wer immer da vor uns hergeht in
der dunkelgrünen Cordjacke mit dem braunen Kragen, sie ist es nicht. Kein Wort
entfährt dem Mund, keine Geste verrät, was dieses Wesen denkt. Da geht ein
Niemand durch das Monstrum hindurch, und nur die über die Schulter gehängte
Tasche, wildlederbraun, verströmt etwas Leben. Da wandelt ein Scheinleib, will
nichts, empfängt nichts, legt nicht einmal den Kopf in den Nacken, um zu
sehen, sondern setzt sich auf einen Stein und sieht, wenn man das denn als
Sehen bezeichnen will, auf die Stadt hinunter. Es besteht keine Verbindung mit
mir, mit Rumen noch weniger. Meine Schwester, oder wer immer das ist, scheint
uns nicht mehr zu kennen.
    Rumens
verzweiflungsvolle Versuche anzuknüpfen erregen mein Mitleid. Ob wir die
Mosaiken genauer betrachtet hätten? Das Gold? Da habe man Elemente der
Ikonentradition aufgegriffen und verarbeitet, auch Muster von liturgischen
Gewändern künstlerisch umgedeutet.
    Damit
er sich weniger ängstigt und sich an seinem Ärger festhalten kann,
widerspreche ich in gewohnter Weise, wenn auch im Tonfall etwas schlapp: Ja,
die sind besonders scheußlich, man sollte den Bulgaren das Mosaikenlegen ein
für allemal verbieten. Sie können es einfach nicht.
    Wir
hätten ja keine Ahnung, wirft Rumens Stimme, die inzwischen zittert wie der
ganze Mann, uns vor. Immerhin, immerhin, das sei doch bemerkenswert, mehr als
bemerkenswert, er finde im Moment nicht die rechten Worte dafür, weil das -
das müssten selbst wir anerkennen, obwohl uns der Kommunismus ja egal sein
könne, dass die Kommunistische Partei nämlich, die habe mit diesem Denkmal,
und zwar 1981 - 1981! Im Jubiläumsjahr! -, an die bulgarische Geschichte
erinnern wollen, und eben nicht nur an die kommunistische bulgarische
Geschichte, wie sonst allgemein üblich, sondern an die christliche bulgarische
Geschichte, ja, an die christliche Missionsgeschichte, an Kyrill und Method,
diese hochwichtigen Mönche, die das Christentum nach Bulgarien gebracht hätten,
und an den Zaren Boris, Boris I., der als erster bulgarischer Khan sich habe
taufen lassen. Sie alle, und noch viele mehr, natürlich auch Freiheitskämpfer
gegen die Osmanen, die seien hier gemeinsam vertreten, und das bedeute den
Bulgaren viel und sei durchaus etwas Besonderes. Außerdem, setzt er mit einer
Stimme hinzu, die ihm ganz und gar nicht mehr gehorcht, und das klingt jetzt
überhaupt nicht mehr nach Rumen, nicht nach dem Rumen, den wir kennen, sondern
nach einem kleinwinzigen Kinderrumen: über Ästhetik lasse sich schließlich
streiten.
    Rumen
sieht mich an, er verblinzelt die Tränen, die sich ihm in die Augen gesetzt
haben. Ich sage einstweilen nichts, schaue ihn aber freier als sonst an, um ihm
zu zeigen, dass ich nicht vergessen habe, dass es ihn gibt.
    Meine
Schwester hingegen scheint wieder aufgewacht. Was immer sie dem Belebten
zurückgewonnen haben mag, Rumens Erklärungen können es nicht gewesen sein. Sie
beachtet ihn weiter nicht, sondern ein Fläumchen, so ein nicht recht blaues,
nicht

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