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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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boshaft. Wie heißt er?
    Minty,
sagte Marco und steckte die Photos wieder weg.
    Zu
all dem schwieg Wolfi noch immer, schaute nervös umher, vor allem aber an uns
vorbei. Endlich fasste sich meine Schwester ein Herz und fragte, ob er auch
verheiratet sei. Wolfi bedachte sie mit einem zweiten schnellen Blick, während
Marco für ihn antwortete: I wo! Der doch nicht. Was will der mit einer Ehe.
    Ich
weiß nicht mehr, wann wir Wolfi endlich so weit hatten, dass er mit uns
sprach. Es will mir inzwischen vorkommen, als hätten wir Tage dafür gebraucht.
In keiner Weise war ihm anzumerken, in welcher Beziehung er zu seinem Bruder
stand, ob er ihn hasste, verachtete, schätzte, liebte, ihm vertraute.
Vielleicht gingen alle Gefühle bei ihm durcheinander, oder er hatte gar keine.
Dass er Marco das Reden, Organisieren, überhaupt alle erdenklichen Aktivitäten
überließ und sich nicht einmal daran störte, wenn der uns sein Leben erklärte,
war offensichtlich.
    Nach
langem Hin und Her stellte sich heraus, Wolfi war früher Lehrer für Sport und
Geographie gewesen, und zwar in Heilbronn, inzwischen hatte er den Beruf aber
aufgegeben (wir trauten uns nicht zu fragen, wieso), um ältere Herrschaften
auf Kreuzfahrten zu begleiten.
    Immer
unterwegs, der gute Mann, sagte Marco und ließ uns wissen, dass sein Bruder bei
älteren Frauen einen Schlag habe; er kümmere sich um sie, betütere sie rund um
die Uhr, aber nur, wenn sie ordentlich was auf der Kante hätten. Er lebe davon
nicht schlecht.
    Wolfi
grinste, was den kläglichen Eindruck erweckte, er tue es unter der Zuchtrute
einer Gesichtsrose. Unsere verstörten Blicke bewiesen, dass wir uns nicht mehr
auskannten. Welche vermögende Frau legt sich schon freiwillig einen
Reisebegleiter zu, der kaum ein Wort redet? Wobei Wolfi die zweideutige
Bemerkung seines Bruders nicht weiter kommentierte und schnell zu seiner
angespannten Undurchschaubarkeit zurückfand, ganz so, als spräche Marco von
einem Menschen, mit dem er nur lose bekannt war.
    Mich
berannte ein Haufen Bilder und Gedanken von solcher Sinnlosigkeit, dass ich
für eine Weile aus dem Fenster starrte. In schneller Folge zuckten Frauen und
Männer vor meinem geistigen Auge auf und wieder weg, darunter der alte Zankoff,
in penetranter Deutlichkeit seine haarige Brust und der zertrümmerte Karmann
Ghia, die Vulgärpsychologie versudelte mein Hirn, Kindertatä fiel drein und
machte aus dem alten Zankoff Zanki-Zocki-Zoffi, Klein-Wolfi musste dem
Goldkettchenvater als Kinderhure dienen, ich sah den Zwilling auf Landkarten
onanieren und mit Hanteln den Kopf der Mutter zerklopfen, Mutter, Vater,
Mutter - war's am Ende die Mutter, die Wolfi jeden erfreulichen Umgang mit
Frauen versalzt hatte?
    Als
hätte er den dicksten Fisch aus dem Strom meiner Gedanken gezogen, sagte Marco:
Die Mutti war' so gern mitgefahren, aber leider ging das ja nicht.
    Ich
fuhr herum wie gestochen.
    Tapfer
bekämpfe sie den Krebs mit kaum einem Härle mehr auf dem Kopf, erfuhren wir,
was mich in ein wildes Gelächter ausbrechen ließ, hihi haha, mit nur einem
Härle noch! Ich sah den gelben Gips ihres Haars zerschellt auf dem Boden
liegen, fühlte Schweiß um die Nase ausbrechen und verstummte.
    Mein
Gegenüber blieb, wie er war, unbeirrbar in einem unheimlichen Grade. Mein
Ausbruch hatte nicht die leiseste Irritation bewirkt: Eure Mutti konnte unsre
Mutti nicht leiden, sagte er seelenruhig, und unsre eure genausowenig.
    Jammerschade,
sonst hätten wir uns als Kinder öfter gesehen.
    Unsere
Mutter benahm sich Herta gegenüber nicht immer fair, sagte meine Schwester mit
einem vorwurfsvollen Blick auf mich, es ging mir schon als Kind gegen den
Strich, es war mir regelrecht peinlich, wenn sie sich so aufführte.
    Weil
sie damit ihrer Pflicht noch nicht Genüge getan zu haben glaubte, erkundigte
sie sich des langen und breiten nach dem Befinden der Zankoff-Mutter, ja, sie
bat Marco sogar, ihr telefonisch Genesungswünsche zu übermitteln, und fragte in
gefühlig sanftmütigem Ton, ob denn Chancen zu ihrer Rettung bestünden.
    Bundesverdienstkreuz,
sagte Wolfi.
    Mehr
sagte er nicht. Was war dem in die Krone gefahren? Wir verstummten. Meine
Schwester pickte nicht vorhandene Flusen von ihrem Rock. Marco leerte das
ursprünglich für mich bestimmte Glas und sah aus dem Fenster. Dann zog er
Kopfhörer über die Ohren, drehte seinen Sitz in Fahrtrichtung und hörte
vermutlich etwas Klassisches, wobei seine rechte Hand locker aus dem Gelenk
heraus, mehr hängend und

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