Lewitscharoff, Sibylle
eines Eispickels, würde die Tür aufreißen und ihrem Leichenmann ein
paar schallende Ohrfeigen verpassen, ihn entweder damit wecken oder endgültig
auf den Friedhof schicken oder ihm wenigstens die schreckliche Weste mit dem
Mottenloch am Bauch abzwingen und sie verbrennen. Nichts dergleichen geschah.
Wir hörten damit auf, an unsere Mutter sinnlose Hoffnungen zu verschwenden.
Muttermöbel
gab es nicht. Was soll eine mit allen Fasern auf ihren Mann ausgerichtete Frau
auch mit eigenen Möbeln anfangen. Wohl wahr, sie bestimmte, welche Möbel von
welcher hochgeschätzten Firma ins Haus kamen, der Firma Schildknecht etwa, die
in den sechziger Jahren vom Nimbus des Edlen, gut Verarbeiteten zehrte,
bestimmte es aber immer nur für ihn, um ihn aufzuheitern, niemals für sich
selbst.
Schleiflack!
Hundert Gründe, an einer Schleiflackbücherwand sich den Kopf einzurennen!
Schleiflackbücherwände, in denen Werke von Uwe Johnson, Max Frisch, James Baldwin
und Albert Camus wie die lieben Soldaten aufgereiht stehen, rufen den
Verwüstungstrieb auf den Plan. Eine Axt her! Eine Säge her! Seiten zerrupfen!
Meine Schwester, diese unentwegte Traumwandlerin, geht allerdings an Schleiflackbücherwänden
vorüber, als wären sie das Natürlichste von der Welt, selbst wenn darin auch noch
verschließbare Elemente eingepasst sind, Türchen mit Waffelmuster, Türchen mit
Messingschlüsselchen, hinter denen der Cognac und dessen Schwenker, der Whiskey
und dessen schwere Gläser ihr diskretes Leben führen.
Hätten
unsere Eltern die Bücher von echten Trinkern zur Brust genommen - Lowry!
Faulkner! Cheever! -, hätten sie vielleicht einen Bogen um die Firma
Schildknecht und ihren Schleiflack gemacht. Doch nein, wo nach Unglück gesucht
wird, da stellt sich's auch prompt ein.
Unser
Vater blieb in puncto Alkohol maßvoll. Als Kämpfer der Nacht brauchte er ihn
nicht, er hörte aus Möbeln auch so heraus, was Menschen für gewöhnlich nicht
hören, roch deren Verzweiflung. Die nächtlichen Drohungen waren am Tag zwar
verklungen, in seinem Kopf aber hatte er ein Hörbeet herangezüchtet, von
Sensorien bewachsen, die noch die feinsten und fernsten Schwingungen solcher
Drohungen vernehmen konnten.
Wenn
von feinem und feinstem Hören die Rede ist, denkt man da nicht unwillkürlich an
Engel?
Ich
bin versucht, den geschätzten Mitfahrern einen Vortrag in Sachen Engel zu
halten. War's im Gehaus des kleinen Daihatsu nicht so barbarisch laut, würde
ich ihnen von den Engeln erzählen, die Gottes Thron am nächsten stehen. Ihr
Gehör sei unfehlbar, wird behauptet. Auch in erlauchter Engelrunde, nicht nur
um den singenden, die Leier schlagenden Orpheus, findet exzessives Lauschen
statt. Gott meldet sich mal unwahrscheinlich leis, leiser als eine frisch
geborene Amöbe (wir erraten's nicht in hunderttausend Menschenjahren), mal so
laut, als wäre da oben Vatertag ausgebrochen (laut dann, trommelfellzerfetzend
laut für Menschlein aller Couleur).
Engel
sind Wahrhalter, denke ich mit eigensinniger Kraft gegen den Daihatsu an, von
den in Luftzügen schwebenden, driftenden, flatternden Wörtern müssen sie noch
die winzigsten darein verfitzten Botschaftskörner vernehmen. Wer so intensiv
hört, bis ins Innerste der Stille hinein, versteht vielleicht im eigentlichen
Sinne nicht. Nehmen wir einmal an, Gott sage spezifisch. Da darf es in einem Engelhirn nicht allzu lang rappeln, bis
es alle möglichen Varianten von Spezi und Fisch samt den in der Bibel auftauchenden
Fischvorkömmnissen überprüft hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass Fische
als Hering, Sardine, Thunfisch quasi nur im Nebenher, als fröhlicher Begleitschwarm
durch die das Wörtlein tragende Luftmenge schwimmen.
Ein
herzlich dummes Beispiel, ich weiß (und kassiere es sofort wieder ein.
Vernachlässigt werden darf zwar das Problem vom wörtlich Wörtlichhören, aber
nicht das Problem vom fehlenden Beweis, dass Gott klipp und klar Deutsch
spricht. Oder Latein oder Griechisch oder Hebräisch. Ausgeschlossen werden
kann aber Bulgarisch. Bulgarisch auf keinen Fall!).
Hehe,
Schwester, bitte nicht so trübe. Ich denke an Engel, und du legst den Kopf auf
die Seite und schläfst mir weg, nur weil es Abend und die Autobahn leer wird.
Sendboten,
Schwester! Abendverkehr, Geflatter am Himmel. Signifikantenschwemme!
Sendboten
sind dazu da, das göttliche Kauderwelsch auseinanderzunehmen. Sammeln,
Sortieren, Begutachten, Gruppieren, Verbinden. Hören eben, was sonst. Die darin
wie in Bernstein
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