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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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denn
ich war elf und meine Schwester dreizehn.
    Ob
er losplatzte beim Reden oder zögernd anfing, wir wissen es nicht. Ob er in
Schleifen, gleichsam hinterrücks sich versichernd, sprach, wir wissen es nicht.
Ob sich die Rede ruckend vorwärtsbewegte, ob glatt, ob schnell, ob lahm - keine
Ahnung. Hatte er die Unart vieler Ausländer, das Sprechtempo zu beschleunigen,
wenn er nicht mehr Herr über die Grammatik war? Und seine Stimme? Hoch,
piepsig, kehlig, oder kam sie aus tiefer Brust? Der Chor der Schwärmerinnen,
der uns früher umgab, will uns weismachen, unser Vater habe ein wunderbares, so
wunderwunderbares Deutsch gesprochen, dass es ein Gedicht gewesen sei, ihm zu
lauschen. Vor allem habe er so wunderbar gesungen, dass es wiederum nicht
auszuhalten gewesen sei.
    Wir
haben uns angewöhnt, zu schweigen, wenn wir so etwas zu hören bekommen. Einer
der seltenen Fälle, da meine Schwester auf ihr berühmtes Lächeln verzichtet.
Gottlob, der Chor der Vaterschwärmerinnen hat sich inzwischen merklich
gelichtet, es sind kaum noch welche am Leben, die ihn persönlich kannten. Jetzt
ist es an uns, klarzustellen, wer unser Vater war. Als wir noch klein waren
und mit fliegenden Rattenzöpfen durch den Garten sprangen, wurden wir von
wildfremden Frauen beobachtet, die zu dem Schluss kamen, wir seien irgendwie
kümmerlicher geraten als jener sagenhafte Orpheus, kaum wert, seine Töchter
genannt zu werden. Jetzt fragt es aus uns zurück: ist dieser Kümmerling
überhaupt wert, als unser Vater gelten zu dürfen?
    Halten
wir fest, dass unser Vater ein typischer Bulgare war. Ein typischer Bulgare ist
stark behaart, hat perfekte weiße Zähne, isst Knoblauch und wird steinalt. Im
Falle unseres Vaters war das Haupthaar schwarz und dicht. Knoblauch aß er
allerdings kaum. Der typische Bulgare behält sein Haupthaar auch im Alter, weiß
wird es spät. Unser Vater hat aber die Altersprobe nicht bestanden, deshalb
wissen wir diesbezüglich nichts Genaues. Nur, dass im Moment, da sein Freund
einen letzten Blick auf ihn warf und ihm über den Kopf strich, die Haare
büschelweise in der Hand zurückblieben.
    Wo
noch Haare? An den Möbeln hängen geblieben? Gab es Vatermöbel? Muttermöbel?
    Auf
hochflorigen Teppichböden schliefen die Möbel in scheuer Widersetzlichkeit.
Blauer Teppich im Schlafzimmer der Eltern. Schleiflackmöbel.
Eierschalenfarbener Teppich im Wohnzimmer. Unser Vater hatte das kleine rote
Sofa im Balkonzimmer für sich gepachtet. Wenn er auf diesem Sofa saß, fühlte
er sich sicher und kam anscheinend ohne Gemütsbewegung aus. Im Grunde
beanspruchte er wenig umbauten Raum für sich. Nur Raum, groß genug, ihn mit
seiner Traurigkeit zu füllen. Manchmal aber ging er gereizt im Balkonzimmer
umher und bleckte die weißen Zähne. Im Innersten war er gewiss verkorkst. Kein
Wunder, dass wenige Jahre nach seinem Tod eine auf dem Balkonzimmertisch in
der Sonne liegende Batterie explodierte und ihre scheußlich riechende Chemie
auf das rote Sofa ergoss.
    Mit
den Menschen, von denen er umgeben war, hielt er nur flüchtig Verbindung.
Einmal jemanden scharf ansehen, ihn sich einprägen, das genügte, alles weitere
durfte dann wieder unscharf werden. Er hatte immer ein Häubchen Schwermut auf
dem Kopf. Sein inneres Dunkel hielt er für unvergleichlich. Und die Familie
unterstützte ihn darin, oh, es grübelten die Familiensatelliten um die Wette
über das unbegreifliche Dunkel einer bulgarischen Vater- und Mannesseele, von
der die uns beklemmende wiederum ein besonders ungeheuerliches Exemplar war. Es
leuchtete dies Dunkel in geniehafter Verworrenheit und Feinsinnigkeit. Warum
bloß sah sich niemand den stumpfen Gesichtsausdruck des Mannes an und zog den Schluss,
dass man's - nein, nicht mit einem Künstlerwrack - mit einem verkommenen
Arztwrack zu tun hatte?
    Er
wurde im Lauf der Jahre nicht abweisend und verdrießlich wie die meisten Väter
unserer Schulkameradinnen. Wenn er seine ausgeleierte Weste aus dem Schrank
holte, wussten wir, was kam. Es verlosch die Welt um ihn her, für zwei Monate,
immer im Frühjahr, und wir waren dazu verdammt, mit ihr zu verlöschen.
Geschleich um seine verschlossene Kammer, schüchternes Gepoch, zaghafte Frage,
ob er etwas essen wolle, und keine Antwort. Öffnete man die Tür einen Spalt,
schwoll etwas so Muffiges daraus hervor, dass man sie schnell wieder zumachte.
Er lag auf seinem Sofa wie verwest.
    Wir
hofften, unsere Mutter, dieser sportliche Mensch, Skifahrerin, Bergsteigerin,
Besitzerin

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