Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
Vom Netzwerk:
die überall so hoch im Kurs steht.
    Das
Liebesstreben meiner Schwester begann mit fünf. Ihre Handflächen ans Gitter des
Gartentores gepresst, die Fingerchen darein gekrallt, schaute sie ihrem
Liebsten zu. In unserer Straße waren Bauarbeiten im Gange. Nein, sie verliebte
sich nicht in einen jener kleinen, zähen Italiener, die damals die schweren
Boschhämmer ins Feld führten, sondern in einen Deutschen. Gäbe es ein ebenso
prachtvolles Wort wie Blondine für
einen Mann, er hätte solchen Ehrennamen verdient gehabt - Der
Blonde oder Blondmann klingt
wenig verlockend. Muskulöser Körper, Sonnenhaar, flirrendes Gold ums Haupt,
wie's die heldenschwärmenden Griechen so liebten, da stand der Mann in der
Grube, und von seiner Schaufel flogen die Erdbatzen.
    Indem
sie sich gerade in diesen Schaufelwerfer verliebte, bewies meine Schwester früh
einen Instinkt für die Macht. Er war kein gewöhnlicher Bauarbeiter, sondern der
künftige Chef der Firma Epple, ihr erstgeborener Sohn, der in der
Wurmlingerstraße seine Lehrzeit absolvierte.
    Meine
Schwester störte sich auch nicht an den verschiedenen Altersmengen, die da in
liebenden Chemiewölkchen durch unsere Straße trieben. Dass zwischen fünf und
fünfundzwanzig ein Unterschied sei, behaupten nur die Geschlechtspedanten.
Keine Ahnung haben sie vom fliegenden Zeitritt der Liebe. Meine Schwester
bezog (in flotter Vorwegnahme, sie kannte Homer damals noch nicht) den Spruch
des griechischen Erzählvaters sie dünket mich nicht
sterblicher Menschen Tochter sein, sondern Gottes auf
sich, und damit war alles möglich und alles erlaubt.
    Nur
ich störte sie. Aus Eifersucht? Meine sonst so geduldige Schwester fackelte
nicht lang und biss mich vom Tor weg.
     
    Fleisch!
     
    Große
einsame Kabeltrommeln am Weg. Viel Stille im Hinterland. Rumen ist vergnügt,
klopft zu einer nur ihm bekannten Melodie ans Lenkrad. Um seinen Wirbel stehen
die Haare jetzt lustig. In zwanzig Minuten etwa sind wir in Veliko Tarnovo.
Keine Spur mehr davon, dass sich in diesem Wagen irgendwer über irgendwen
ärgert.
    Aber
da kommt noch ein Hindernis. Blaulicht überall, eine Absperrung. Ein
Kühltransporter mit einem Gewimmel von Polizisten drum herum. Wir werden
vorbeigewunken, erkennen nicht, was los ist. Nach einem Unfall sieht es
jedenfalls nicht aus.
    Das
große, hässliche Ding am Abendhimmel, langgezogen wie verschmierter Dreck, ist
doch nicht etwa unser Vater? Rotrand am Horizont, darüber sich aufbauendes,
immer dichter nachrückendes Blaudunkel, und direkt über uns dieser ausgewalzte
Dreck. Warum hier derartig ausgiebig vom Vater die Rede ist, und gleich so
übertrieben niederträchtig? Jahrelang haben wir nicht mehr von ihm gesprochen,
jahrelang hat er uns, wenn überhaupt, allenfalls im geheimen belästigt - ein
verblichener Held aus einer verschwommenen Geschichte. Und kaum mehr was da
von ihm. Nicht mal ein Schädel. Die menschliche Materie, in der er einst
umherging, besteht nur noch aus zerworfenen Krümeln.
    Stimmt
doch, Schwester - ein Häufchen Granulat aus schockgefrorenen,
auseinandergerüttelten Schädel- und Beinkrümeln, etwa so viel an Menge, wie bequem
in ein Weckglas zu füllen wäre. Natürlich bleibt von meiner Schwester die
Bestätigung, oder was man dafür nehmen könnte, wieder mal aus. Ihre
zusammengefaltete Jacke am Fenster mit dem darauf gesunkenen Kopf sagt mir, dass
sie am Wegdämmern ist, einfach die Schlafhäute über die Augen gezogen hat -
weil so viel freie Autobahn vor uns liegt, nichts als von wenigen,
ausnahmsweise friedlich gestimmten Lenkern befahrene, geradewegs in den
Abendhimmel führende Autobahn.
    Jetzt
ist aber eine Erklärung fällig: welcher Dämon treibt uns, die wir das Land des
Vaters wortstark verabscheuen, längs und quer darin herumzufahren wie brave,
pietätvolle Christinnen? Geld, Geld, Geld. Siebzigtausend Euro, fünfunddreißigtausend
pro Kopf, um genau zu sein. Und eine wahnwitzige Idee dahinter, nicht unseren
Hirnen entsprungen, sondern dem unglaublichen eines Achtundachtzigjährigen.
Als unser Vater noch am Leben war, war der ihm kein Freund gewesen, nur ein
Kumpan in der Not, einer von den neunzehn Notnägeln in der allgemeinen Landeseinsamkeit
der Stuttgarter Emigranten.
    Für
diese blumen- und dornenreiche Geschichte müssen wir einen Schlenker machen,
zurück ins Jahr 45, etwas davor und kurz danach. Zwanzig Bulgaren, darunter ein
Pope und nur eine einzige Frau, waren ins Schwabenland gekommen, nach
Stuttgart. Die Männer

Weitere Kostenlose Bücher