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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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kein wertvoller Vater weggestorben, sondern bloß ein alberner Bulgare.
Wir haben keinen Verlust erlitten, sondern im Gegenteil Glück gehabt, denn die
Zeit war zu knapp, als dass er uns mit seinem bulgarischen Hokuspokus hätte
infizieren können. Der einzige Unterschied: meine Schwester verschließt diese
Gedanken in sich und lächelt, lächelt immerzu, während ich Rumen auf die Palme
bringe, indem ich wortreich das bulgarische Unglück zerpflücke.
    Wir
haben Bulgarien schon satt, bevor wir es richtig kennengelernt haben. Traurig,
aber wahr, die bulgarische Sprache dünkt uns die abscheulichste von der Welt.
So eine weichliche, plump vorwärtsplatzende Sprache, labiale Knaller, die
nicht zünden wollen. Keinerlei Schärfe in den Konsonanten. Um Rumen zu ärgern,
greife ich gern zu dem Trick, die benachbarten Rumänen zu loben. Wie angenehm
Rumänisch in den Ohren klingt! Wie dunkelschwer und weltverloren. Jaja, es
gereichte den Rumänen zum Vorteil, dass sich ihre slawische Art nach den
romanischen Sprachen verzehrte. Und wie gut sie aussehen! Jawohl, sie sehen
manchmal aus wie großgewachsene Römer. Und was für eine wunderbare
schwarzmagische Literatur sie besitzen! Logisch, sie hatten Ovid zu Gast, sie
hatten bedeutende Dissidenten und waren nicht samt und sonders solche
sowjetischen Kriechlinge, wie die Bulgaren es waren. Die wenigen, die es nicht
waren, hat man im Steinbruch von Lowetsch oder im Lager Belene erledigt.
    Sobald
er das Wort Rumänien aus meinem Mund hört, verzieht Rumen das Gesicht, als habe
er Zahnschmerzen. Ich glaube, Nacht für Nacht mordet er mich im Traum, schnappt
sich meine Schwester und verschleppt sie hinter einen bulgarischen Hügel.
    Ein
paarmal hab' ich's zu weit getrieben. Rumen hat inzwischen gelernt, wie man
mich in Schach hält. Lobe ich die Rumänen, wird er scharf. Was, die Rumänen
zivilisiert? Ha, kontert Rumen, ihr Lieblingssport war es, Juden in
Schweineställe zu sperren und sie bei lebendigem Leib zu verbrennen. Und die
bereuen nichts, gar nichts, deine herrlichen Rumänen, schreit er, und seine
Stimme zittert vor Groll und Empörung.
    Inzwischen
dämmert es, und die Fahrbahn wird leer. Wir rollen durch eine schwach
besiedelte Gegend. Leben da überhaupt Menschen? fragen wir uns, nachdem wir
eine Viertelstunde durch hügeliges Land gefahren sind, und keine einzige
Siedlung weit und breit. Nur die Esel-und Pferdekarren der Zigeuner, die hin
und wieder am Straßenrand entlangtrotten, erzählen davon, dass irgendwo hinter
den Hügeln Leute wohnen müssen, in irgendwie zusammengeworfenen Siedlungen mit
schäbigen Läden, die notdürftig aus Brettern zusammengenagelt sind, falls es
hinter den Hügeln überhaupt Läden gibt. Nichts, was das Fernweh anreizen, die
Mär vom balkanischen Abenteuer beleben könnte. Arme Klepper, denen sich das
Elend mit hartem Stift durchs Fell zeichnet, laufen nach der Peitsche, ihre
Stirnen geschmückt mit roten Bommeln.
    Diese
lastende Dämmerung ist ein Vorposten der bulgarischen Nacht. Nachts schlafen
die bulgarischen Berge wie große schwarze Tiere, und nur hie und da, weit
entfernt, dringen Lichtpunkte aus morschen Häusern. Weil er weniger mit
Lastwagen zu kämpfen hat, hängt Rumen jetzt lässig in seinem Sitz, eine
brennende Zigarette im Mundwinkel.
    Heute
bin ich in besserer Stimmung, das Herumgefahrenwerden bekommt mir. Auch nehme
ich gern mit der Rückbank vorlieb, weil ich mein Gift lieber von hinten
einstreue. Außerdem würde es Rumen noch mehr ärgern, wenn ich neben ihm säße.
Da er ein schlechter Autofahrer ist, könnte uns das ernstlich gefährden.
     
    Bitte
mich zu entbehren
     
    Bitte
mich zu entbehren, sagt der Vater. Eine schäumende Vaterwoge überspült das
Wageninnere, im Gemüt ein gewaltiger Hopser, der das Autodach wegfliegen lässt,
so dass wir momentweis unter dem blanken Himmel dahinfahren.
    Bitte
mich zu entbehren hat er noch nie gesagt, so höflich ist er uns noch nie
abhanden gekommen. Der aschfahle Himmel bezeugt: er ist weg. Dubios bleibt,
was für ein Vater das gerade gewesen sein soll. An seine Stimme kann ich mich
nicht erinnern, meine Schwester ebensowenig, wir scheitern, wenn wir die Stimme
unseres Vaters beschreiben sollen. Was für ein Deutsch er gesprochen hat? Ein
gutes? Ein klares? Mit österreichischem Akzent, weil er es in Wien verfeinert
hat? Sprach er von der Grammatik her einwandfrei? War sein Wortschatz groß
oder eher mickrig? Wir wissen es nicht, obwohl wir es doch wissen müssten,

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