Lewyn - Die Halbelbin: Reise durch Garnadkan (German Edition)
lasst euch nicht anmerken, dass ihn das Alter schwer gezeichnet hat.“ Wesrhar verabschiedete sich für den Augenblick und war anschließend schnell auf dem Weg zum Herren der Stadt. Unterwegs wies er zwei Frauen an, für die Versorgung der Gäste zu sorgen.
„Sagt, euer Land ist vom Fels geprägt. Woher kommen all die Sachen, die ihr auftragt?“ Die vertriebene Magierin war ziemlich verwundert. In den Felsen konnte man weder Vieh halten noch Ackerbau betreiben.
„Ihr werdet es erblicken, wenn ihr unsere Stadt kennen lernt. Bisher habt ihr nur die Häuser der Krieger gesehen. Auf der anderen Seite von Agerass aber liegen luftige Räume, die den Blick auf Felder und Weiden freigeben. Es ist ein großes geschütztes Tal, in dem auch das Wetter nicht so hart ist, wie anderswo. Wir haben hier zwei Ernten im Jahr.“
„Habt ihr rund um den Kessel Häuser wie diese?“
„Ich glaube, das fragt ihr besser meinen Bruder. Ich fürchte, ich habe ohnehin zu viel erzählt.“ Beschämt sah die junge Frau nach unten, als Wesrhar in der Tür auftauchte. Doch der schien weit davon entfernt zu sein, seine Schwester Oriama zu tadeln. Er nahm sie in seinen linken Arm und fuhr mit der Rechten, ihr Haar zerzausend, über deren blondes Haupt.
„Ja, Agerass wird von jeder Seite so gut geschützt. Es gibt zu viel blutrünstiges Getier und seit einiger Zeit auch genügend Feinde in den Bergen.
Mein Herr fühlt sich heute nicht in der Lage, euch zu empfangen. Ich fürchte, Genergk nähert sich seinem Ende. Doch freut er sich, euch morgen zu sehen, geht es ihm besser. Er wünscht, dass ich euch etwas zeige, wenn die Sterne am Himmel stehen. Ruht bis dahin und genießt diese schöne Stadt. Eine solche werdet ihr so schnell nicht wieder finden“, lächelte er.
„Wesrhar, als wir durch euer Gebirge zogen, lernten wir seine Raubtiere kennen. Wir erblickten sogar sein Grauen aus der Entfernung. Wie lange gibt es das bereits?“
„Ihr meint den Dunst des Vergehens? Den kannten schon unsere Urväter. Er wird überall dort angetroffen, wo die Bewohner der Berge zu viel Leben fordern. Er ist eine Strafe, gesandt von den Göttern. Die Tiere in unseren Landen aber waren einst nicht so mordgierig. Sie waren von kleinerer Gestalt und recht scheu. Selten bekamen wir sie zu Gesicht. Heute muss man acht geben, dass man vor Sonnenuntergang eine sichere Bleibe hat.“
„Wie kann es der Wille der Götter sein, dass ihr bestraft werdet, wenn ihr euer Leben, das von Familie oder Freunden verteidigt? Leider kann nicht jeder Kampf umgangen werden.“
„Das ist richtig. Aber die Menschen des Ketragagebirges wissen das Grauen von sich fernzuhalten. Oft genug versuchen wir den Frieden zu bewahren. Ihr konntet beobachten, dass wir den Männern aus Seranidh die Möglichkeit eines Rückzuges ließen. Sie wollten jedoch um jeden Preis unsere Stadt erobern. Nun ist der See ihr Grab. Das stimmt alle hier traurig. In vergangenen Jahren gehörten diese Männer nicht zu jenen, gegen die wir uns verteidigen mussten. Viele von ihnen nannten wir Freunde.“
„Es ist das Böse, was ihre Herzen vergiftet hat. Vielleicht kann es eines Tages vernichtet werden. Ich denke, dann wird es den Dunst des Vergehens ebenfalls nicht mehr geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass euch die Götter den Tod schickten.“
Lewyn und Soh’Hmil warteten am Abend darauf, dass sich die Sterne zeigten. Die aber blieben während der gesamten Nacht hinter dicken Wolken versteckt. Daran änderte sich auch in den nächsten Tagen nichts. Die junge Frau verlor langsam die Geduld, was den Freund zum Grinsen brachte.
„Ob du hier umherläufst wie ein Tier im Käfig oder nicht, die Sterne werden sich dadurch schwerlich locken lassen.“
„Das weiß ich selber“, entgegnete sie gereizt. „Aber weshalb sollten wir auch darauf warten? Wir haben keine Zeit. Das nächste Ziel muss erreicht werden.“
„Was, wenn dies das Ziel ist?“
„In der Vision sah ich eine Steinplatte, vielleicht ein Tor, mit mir fremden Zeichen. Ich habe hier nichts Derartiges entdecken können. – Nun, vielleicht haben wir noch nicht alles erblickt. Die Gänge im Fels scheinen weit verzweigt“, sagte sie nach einer Weile des Überlegens. Dann trat sie abermals ans Fenster, um nach den Sternen zu schauen. Dabei gingen ihre Gedanken zu Cadar. Der war noch nicht zurück. Was war passiert? Hatte er sein Leben bei dem Zauber auf der Lichtung gelassen? Die junge Frau bemerkte plötzlich, dass sie sein Ausbleiben
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