Lewyn - Die Halbelbin: Reise durch Garnadkan (German Edition)
beinah bedauerte. Wieder sah sie die grünen Augen vor sich, die ihr entgegenblickten, als sie seinem dunklen Treiben ein Ende bereitete. Sie sah seine Augen, wie sie in den letzten Wochen auf ihr ruhten, wachsam und behütend. Ihre Gedanken hingen später in Paliana und Leranoth. Dort gab es Freunde, die sie vermisste und die sich vermehrt gegen den Feind behaupten mussten. Würden sie es schaffen? Würde sie alle wieder sehen?
Die Gefühle der Kriegerin wurden schließlich so übermächtig, dass sie mit der Faust gegen die Wand schlug. Dieses tagelange untätige Warten, das sie kein Stück weiter brachte, machte sie wütend. Soh’Hmil blickte erstaunt zu ihr. Was war los? Er kannte ihre Ungeduld. Aber diese Reaktion? Langsam ging der Freund auf die Dreiundzwanzigjährige zu. Ihr Kopf war weiterhin in Richtung Himmel gewandt. Er trat neben sie und konnte das Glitzern in ihren Augen sehen. Vorsichtig drehte er sie zu sich und nahm sie schließlich in die Arme.
„Sie fehlen mir so sehr. Ich weiß nicht, ob ich sie noch einmal sehen werde. Das Böse ist bereits unglaublich stark. Seine Horden überschwemmen das Land und verbreiten den Tod.“
„Du wirst es bekämpfen und du wirst es besiegen. Du wirst deine Freunde wieder sehen, denn du bist die Erbin der Macht und nur du kannst das Schicksal aller zum Guten wenden. Zweifle nicht am Erfolg!“ Soh’Hmil blieb bei der Halbelbin. Er spürte, dass sie gerade jetzt seine Nähe, seine Unterstützung brauchte. Sie war eben nicht nur die Erbin der Macht, die eine große Verantwortung trug. Sie war vor allem noch sehr jung.
Beide bemerkten zur gleichen Zeit, wie hier und da ein Stern sein Leuchten durch die immer dünner werdende Wolkendecke schickte. Letztendlich lag ein klarer Nachthimmel frostig kalt über Agerass.
„Die Sterne haben dein Flehen erhört. Heute wird dir der weitere Weg gewiesen. Wir können unseren Pfad fortsetzen.“ Gemeinsam mit der Kriegerin verließ er den Raum. Sie wollten Wesrhar aufsuchen und ihn bitten zu zeigen, was so wichtig schien. Der Heerführer der ziemlich großen Stadt war schnell erreicht. Er befand sich bereits auf dem Weg zu seinen Gästen.
„Verzeiht, dass es so lange dauerte. Aber ich musste erst Genergk aufsuchen. Mein Herr wollte unterrichtet werden, wenn die Zeichen günstig stehen. Er wird bereits in die Halle des steinernen Tores geleitet.“
„Dann werden wir ihn noch kennen lernen?“, fragte Soh’Hmil.
„Es sieht so aus“, grinste der dunkelhaarige Mann. „Ihr Elben scheint doch tatsächlich so etwas wie Neugier zu kennen. Auch scheint mir Freundschaft bei euch nicht unbekannt.“
„Sie ist dauerhafter als bei Menschen oder anderen Völkern. Mitunter braucht es recht lange, bis sie entsteht. Aber ist diese Verbindung einmal geschlossen, kann sie kaum durch etwas gebrochen werden.“ Dabei ruhte der Blick des Elben auf seiner Prinzessin, während in seinen Augen ein Leuchten lag.
Die bekannten Gänge hatten Wesrhar und seine Begleiter längst verlassen. Immer tiefer ging es in den Fels. Dann waren sie da. Ein kleiner Felsdom tat sich auf, ein kleines Loch in der Mitte der Decke tragend. Durch dieses fiel momentan das Licht der Sterne. Gleichzeitig sank glitzernd die Kälte des Winters herab.
An einer der Seiten, die vom Frost nicht berührt zu werden schien, befand sich eine Art Thron. Er war gut gepolstert und mit einigen Fellen ausgelegt. Dort saß Genergk, der Herr von Agerass. Neugierig blickte er zu den Eintretenden. Diese kamen geradewegs auf den Greis zu. Sie beugten die Knie und neigten das Haupt. Anschließend erhoben sie sich.
„Mein Herr, Ihr habt nach uns rufen lassen, um uns im Schein der Sterne etwas anzuvertrauen.“ Lewyn kam ohne Zögern sofort zum Kern der Sache. Sie wollte möglichst schnell den weiteren Weg nehmen. „Bitte sagt uns, wie wir Euch dienlich sein können. Verzeiht mein Drängen, doch ist Eile unser Gebot.“ Sie hatte dem alten Mann fest in die Augen gesehen. Die lagen klein und glanzlos tief in den Höhlen des haarlosen runzeligen Kopfes. Doch schienen sie momentan zu lächeln.
„Ich kenne Euren Weg. Ich weiß, dass Ihr die Hoffnung seid, auf die alle warten. Und Ihr seid nicht hier, um meinen Wünschen zu entsprechen. Es ist eher umgekehrt.“ Er verhielt ein paar Augenblicke. Das Reden strengte Genergk sichtlich an. „Ich verweile nur noch unter den Lebenden, um Euch einen weiteren Hinweis zu zeigen.“ Abermals trat eine Pause ein, in der er einen Hustenanfall
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