Lewyn - Die Halbelbin: Reise durch Garnadkan (German Edition)
schon ein wenig gekränkt. Bedenkt, ich hätte Euch nicht hierher zu führen brauchen. Ich riskiere für Euch meine Stellung.“
„Sicher. Ich bin Euch dankbar für diese Bemühungen. Aber ohne höchste Wachsamkeit würde ich nicht mehr unter den Lebenden weilen.“ Offen blickte sie dem Mann entgegen, dem noch immer die Enttäuschung anzusehen war. Aber nach und nach verschwand dieser Ausdruck.
„Verzeiht. Es steht mir nicht zu, Eure Vorsicht zu verurteilen. Die Zahl Eurer Feinde ist groß. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich wohl kaum anders gehandelt, stünden mir Eure Fähigkeiten zur Verfügung. – Ich hoffe, ich habe Euch mit meiner verletzten Eitelkeit nicht die Lust am Essen verdorben. Das täte mir leid.“ Enoandt hatte diese Befürchtung umsonst, denn Lewyn schob gerade einen Löffel voll Kartoffeln in den Mund.
„Nichts kann mir den Appetit nehmen, wenn diese Frucht auf meinem Teller liegt.“
„Das sind doch nur Kartoffeln“, staunte er.
„Das hörte ich, ja. Aber bei den Elben gibt es diese nicht.“
Das restliche Mahl verlief schweigend. Alle waren damit beschäftigt, ihre Mägen zu füllen. Nur bei der Magierin wollte sich nicht die rechte Ruhe einstellen. Irgendetwas stimmte nicht. Schnell war sie sich sicher, dass in diesem Haus noch jemand war, den Enoandt ihr vorenthielt. Dabei handelte es sich bestimmt nicht um Frau und Tochter. Aber vielleicht gab es noch mehr Familienmitglieder. Daran zweifelte sie allerdings. Ihr Gefühl wirkte warnend. Nach dem Essen würde sie ihn unter vier Augen danach fragen. Sie hoffte dabei, ihn nicht noch einmal zu verärgern.
Nachdem sämtliche Teller und Schüsseln leer gekratzt waren, schickte der Hausherr die Männer nach draußen. Dann sah er abermals durchdringend auf seinen jungen Gast.
„Ihr könnt es fühlen, habe ich Recht?“
„Was meint Ihr? Ah, Ihr habt meine Unruhe bemerkt. Ja, ich spüre, dass sich noch jemand in diesem Gebäude befindet. Doch kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob von diesem Gefahr ausgeht. Ich nehme an, Ihr werdet gleich für Aufklärung sorgen.“ Sie drehte sich um. Hinter ihr knarrte selbst für sie kaum hörbar der Boden. Dann neigte Enoandt sein Haupt.
„Mein König, dies ist die Erbin der Macht. Sie wünscht Euch zu sprechen.“
Ein hochgewachsener Bursche trat aus der Dunkelheit der seitlichen Räumlichkeiten und tauchte nun in den Schein der flackernden Kerzen. Jetzt konnte Lewyn das Unvermögen des Königs verstehen, sollte er das wirklich sein. Er war noch ein halbes Kind, angewiesen auf die Erfahrungen seiner Heerführer, vor allem seiner Berater. So war es letztlich doch die Vielzahl blinder oder machtgieriger Männer, gegen die es anzugehen galt.
„König Brargal.“ Sie neigte zweifelnd ihr Haupt. Von Therani und Nirek wusste sie, dass der König ein älterer Mann war.
„Nicht Brargal. Mein Vater ist vor Wochen bei einem Angriff getötet worden. Wir halten es geheim, um dem Feind keine Schwäche zu zeigen. Ich bin das neue Oberhaupt von Tondior, ich bin Branastal.“ Er trat näher und bedeutete sowohl seinem Heerführer als auch der Kriegerin, sich gemeinsam mit ihm an den Tisch zu setzen.
„Dies ist das erste Mal, dass ich eine Entscheidung fällen werde. Ich denke, ich habe lange genug auf die schlechten Ratschläge alter Männer gehört. Erst jetzt ist es mir bewusst, dass ich wohl oft hintergangen wurde. Vom Anliegen Eurer Freunde erfuhr ich erst heute. Als sie damit nach Burdlan kamen, war es noch mein Vater, der sie abwies. Mir wurde von ihrem Verlangen nicht berichtet. Dylarodh wird das erklären müssen.“ Es entstand eine kleine Pause, die der Bursche sinnierend verbrachte. „Ich darf doch offen zu Euch sein? Meine Worte werden diesen Raum nicht verlassen?“ Der junge Mann sah beide eindringlich an.
„Sie werden bei uns bleiben.“ Enoandt nickte seinem Herrn zu, ebenso wie die Halbelbin.
„Gut. Ich muss gestehen, ich fühle mich seit langem endlich einmal wohl. Es ist, als würden wir einander schon ewig kennen. Ich spüre, dass ich euch beiden vertrauen kann.“ Nachdenklich hielt Branastal inne und blickte zu seinem Untergebenen. „Ich werde dafür sorgen, dass du öfter an meiner Seite bist. Ich glaube nicht, dass du zu jenen gehörst, die nach Macht streben oder anderes Unheil im Sinn haben. Doch diese Wahrheit erkannte ich erst in den letzten Wochen. Es fällt mir schwer, den Platz meines Vaters einzunehmen. – Seht mich bitte nicht so ungläubig an.“ Dabei hatte er die
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