Lexikon der Oeko-Irrtuemer
(Quelle: AgrarBündnis 1996/IW)
1950 mußte eine Familie noch über die Hälfte ihres Einkommens in Essen und Trinken investieren. 4 Der Agrar -wissenschaftler Dr. Günter Postler bringt es auf den Punkt: »Wir kippen Motoröl für 20 Mark den Liter in unser Auto und fahren dann zum Supermarkt, um dort Speiseöl für 2,49 Mark zu kaufen.«
Gemessen an der Kaufkraftentwicklung der Löhne verbilligen sich die Nahrungsmittel ständig. 5 Ein Durchschnittsverdiener mußte für ein Brathähnchen Mitte der neunziger Jahre noch 14 Min. arbeiten (1960 waren es 133 Min.). Als Resultat von tierquälerischer Haltung, Arzneimißbrauch und Turbomast lag der Kilopreis eines Hähnchens 1994 bei 5,01 Mark. 6
Obwohl sie sich volkswirtschaftlich sinnvoll verhalten, werden die Verbraucher von Bioprodukten für ihr Verhalten bestraft. Sie müssen mehr Geld für ihre Lebensmittel ausgeben und bezahlen obendrein (wie alle anderen) durch ihre Steuern Subventionen für die fehlgeleitete konventionelle Landwirtschaft.
1 Brigitte Nr. 8/1997. 2 Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV), Verbraucherpolitische Korrespondenz vom 13. 2. 1996. 3 Bundeslandwirtschaftsministerium, Land- und Forstwirtschaft in Deutschland, 1997. 4 Informationsgemeinschaft für Meinungspflege und Aufklärung e.V., Agrimente, 1997. 5 ebd. 6 AgrarBündnis, Der kritische Agrarbericht, 1996.
Perspektiven
In die europäische Landwirtschaft ist Bewegung gekommen. Immer mehr Länder fördern den ökologischen Landbau, oder zumindest konventionelle Betriebe, die weniger düngen, weniger Gift spritzen und Tiere nicht in Fabrikställen quälen. Die Schweiz (7 Prozent) und Österreich (8,7 Prozent) steuern bereits mit Schwung auf einen zehnprozentigen Anteil des Biolandbaus an der Agrarfläche zu. 1 Das Umweltbundesamt hält für Deutschland ein Wachstum der ökologisch bewirtschafteten Ackerfläche auf zehn Prozent innerhalb der nächsten 13 Jahre für realistisch. 2 Einige Bundesländer (zum Beispiel Nordrhein-Westfalen) wollen schon früher so weit sein. Die großen Handelsketten Rewe, Tengelmann und Edeka machen bereits stolze Umsätze mit Bio-Erzeugnissen.
EU-Agrarkommissar Franz Fischler will die Garantiepreise für Milch, Getreide und Fleisch schrittweise abbauen (»Agenda 2000«). Dies würde weniger Planwirtschaft bedeuten und die aberwitzige Überproduktion drosseln. Als Ausgleich sollen die Bauern direkte Zahlungen erhalten (dafür, daß sie keinen Unfug machen). Daß dieser Vorschlag (der beispielsweise vom WWF begrüßt wird) in die richtige Richtung geht, zeigt schon die Tatsache, daß der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert und Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner ihn mit Zähnen und Klauen bekämpften.
Alles in allem sind die guten Kräfte im Agrarbereich gerade in der Offensive. Und dieser Angriff auf eine verkrustete Planwirtschaft wird noch an Fahrt gewinnen, wenn die Steuerzahler sich eines Tages die gewaltige Geldvernichtung in diesem Bereich nicht mehr bieten lassen. Das Sparkonzept, das 1999 Finanzminister Eichel vorlegte, zeigt in diese Richtung. Weniger als zwei Prozent der deutschen Bevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt. 3 Doch dieser Berufsstand wurde 1996 mit 28,1 Milliarden Mark aus Landes-, Bundes-, und EU-Mitteln unterstützt. Die öffentliche Hilfe liegt damit deutlich über dem Wert der Produkte, die in der Landwirtschaft erzeugt werden. 4 Ende der neunziger Jahre verdankten die Bauern ihr Einkommen zu 46 Prozent den Subventionen. 5 Wenn die Knappheit der öffentlichen Kassen weiter anhält, könnte es schon bald zu wesentlich radikaleren Lösungen kommen, als sie Fischler vorschlägt. Etwa wie in Neuseeland, wo die Regierung 1984 sämtliche Agrarsubventionen abschaffte. Nur ein Prozent der 80 000 Farmer mußte damals aufgeben. »Wir waren früher Witzfiguren, dem Gespött der Städter ausgesetzt, die uns vorwarfen, wir mästeten uns auf ihre Kosten«, sagt Theo Simeonidis, Chef des neuseeländischen Bauernverbandes. »Jetzt können wir selber über unser Schicksal und unsere Zukunft entscheiden.« 6
Für die deutschen Politiker wird es in Zukunft immer schwieriger werden, die Subventionen für die Landwirtschaft zu rechtfertigen. Helmut Scholz, ein Agrarexperte, der über 30 Jahre zur Leitung des Bonner Landwirtschaftministeriums gehörte, sagt voraus, daß das politische Gewicht der Bauern drastisch sinken wird. Im Jahr 2020 - so Scholz -werden nur noch 173000 Menschen
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