Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
vorgeführt, und tatsächlich zeigte sich der erwartete Effekt: Probanden, die sich gut in andere Menschen hineinversetzen können, waren leichter zum Gähnen zu bringen als weniger einfühlsame Testpersonen. Um das Ergebnis zu überprüfen, griffen Platek und Co. wiederum zu hirnabbildenden Verfahren. In der Tat werden beim Gähnen bestimmte Hirnareale aktiviert, von denen man annimmt, dass sie eine Rolle bei der Ausbildung von Mitgefühl spielen. Eventuell bedeutet das Mitgähnen also gar nicht «Mir ist auch langweilig», sondern stattdessen «Ich leide mit dir». Ob dieses Mitgefühl die Langeweile lindert, sei dahingestellt.
Das große Problem sind die stark unterschiedlichen Kontexte, in denen Gähnen auftritt. Zum einen gibt es vermutlich eine rein körperliche Komponente, man gähnt entweder, um tief einzuatmen, den Kreislauf anzuregen oder einfach als Dehnübung der Gesichtsmuskeln. Außerdem öffnet Gähnen die Verbindung zwischen Mundhöhle und Ohr, die eustachische Röhre, und sorgt so für Druckausgleich im Mittelohr, zum Beispiel bei Erkältungen oder bei der Flugzeuglandung. Gähnen ist daher gesund, darüber sind sich die Experten einig. Zum anderen aber scheint Gähnen eine soziale, kommunikative Komponente zu haben, ob es nun aus Mitleid geschieht oder um Handlungen zu synchronisieren. In diesem Rahmen spielt das ansteckende Gähnen wahrscheinlich eine große Rolle. Es klingt erschreckend, aber offenbar führen wir unbewusste Gähngespräche unklaren Inhalts. Das können wir übrigens auch nicht verhindern, indem wir uns die Hand vor den Mund halten. Das Gehirn ist schlau genug, trotzdem zu erkennen, dass der andere gähnt.
Egal, warum man letztlich gähnt, der eigentliche Vorgang des Mundaufsperrens sieht trotz der vielfältigen Ursachen auf bewundernswerte Weise immer genau gleich aus. Die komplexe Bedeutung des Gähnvorgangs ist einzigartig, vor allem, wenn man bedenkt, dass andere unfreiwillige Anstrengungen des Körpers wie Niesen, Husten oder Lachen viel weniger vielseitig einsetzbar sind. Das Gähnen scheint eine Allzweckwaffe zu sein, von der Evolution erdacht, um unserem ohnehin schon bizarren Dasein eine neue, absonderliche Komponente hinzuzufügen.
Geld
Geld macht reich.
Süddeutsche Klassenlotterie
Eigentlich ist das Geld eine einfache Sache: Hat man welches, kann man es in Kaugummiautomaten oder Aktienmärkte stecken. Hat man keines, muss man Pfandflaschen in Parks einsammeln. Verständnisprobleme im Umgang mit Geld sind in Laienkreisen selten – abgesehen von der schwer zu klärenden Frage, wieso es einem immer so schnell durch die Finger rinnt.
Unter Fachleuten sieht es anders aus. Der französische Finanzjournalist Marcel Labordère schrieb in den 1920er Jahren: «Es liegt auf der Hand, dass der Mensch niemals wissen wird, was Geld ist, genauso wenig wie er jemals wissen wird, was Gott in der spirituellen Welt ist.» Vielleicht wird man beides eines Tages herausfinden; bisher sind allerdings nur bescheidene Fortschritte zu verzeichnen. Insbesondere die grundlegenden Fragen «Was ist Geld?», «Wie viel gibt es davon?» und «Welche Auswirkungen hat Geld?» führen immer wieder dazu, dass VWL-Professoren einander hässliche Dinge sagen.
Geld, so glauben die meisten Finanztheoretiker, hat drei Funktionen: Es dient als Tauschmittel, zur Wertaufbewahrung und als Wertmaßstab. Man kann also damit einkaufen, man kann es herumliegen lassen, und man braucht es, weil man sonst nicht wüsste, wie viel die 55-Cent-Briefmarke wert ist. In seinem Lehrbuch «Geldtheorie» erklärt der Volkswirt Hans-Joachim Jarchow: «Ganz allgemein kann man unter Geld oder Zahlungsmitteln alles verstehen, was im Rahmen des nationalen Zahlungsverkehrs einer Volkswirtschaft generell zur Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen akzeptiert wird.» Karl Kraus hat denselben Sachverhalt noch prägnanter zusammengefasst: «Für Geld kann man Waren kaufen, weil es Geld ist, und es ist Geld, weil man dafür Waren kaufen kann.»
Wie es dazu kam, dass es Geld gibt, ist eine Frage, um die sich die Experten gern herummogeln. Es ist nun mal da – wen kümmert es da, warum Menschen sich irgendwann dazu bereitfanden, Waren gegen Metallstückchen und bedrucktes Papier einzutauschen? Intuitiv ist man geneigt, anzunehmen, Geld sei einfach eine besonders praktische, transportfähige und haltbare Ware und daher als Tauschmedium deutlich besser geeignet als zum Beispiel Gurken. Das ist aber durchaus nicht unumstritten;
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