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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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sportlichen Aktivitäten, wenn man also viel Sauerstoff verbraucht? Aufgabe der Wissenschaft sollte es sein, für klare Verhältnisse zu sorgen, und genau das hat der Psychologe Richard Provine mit seinen Mitarbeitern Ende der 1980er Jahre getan: Die Forscher maßen, ob die vermehrte Zufuhr von Sauerstoff das Gähnen reduziert und ob die Zufuhr von «verbrauchter», also mit Kohlendioxid angereicherter, Luft zu mehr Gähnen führt. Und schließlich überprüften sie auch, ob sportliche Aktivität zum Gähnen anregt. Das Ergebnis war in allen Fällen eindeutig negativ – «schlechte Luft» und Sauerstoffmangel sind möglicherweise Ursachen von Müdigkeit, aber wahrscheinlich eher nicht Auslöser des Gähnens. So wünscht man sich Forschung – Theorie, Experiment, Theorie widerlegt, fertig.
    Provine, der sein Gähninteresse als «pervers» bezeichnet, zeigte sich zunächst überrascht von seinen Ergebnissen. Er glaubt seitdem, dass Gähnen nichts mit der Atmung zu tun hat, sondern mit einer Änderung des Wachheitszustandes, dass es also dann auftritt, wenn Menschen entweder müde werden oder munter. Sein Kollege Ronald Baenninger liefert für den zweiten Fall einige experimentelle Belege. Er bat Testpersonen, den ganzen Tag bewegungsempfindliche Armbänder zu tragen und diesem Gerät per Knopfdruck jedes Gähnen zu melden. Dabei kam heraus, dass Gähnen typischerweise Phasen hoher Aktivität vorausgeht. So ähnlich verhalten sich womöglich auch einige Tiere: Der männliche Siamesische Kampffisch zum Beispiel sperrt vor dem Angriff ausgiebig sein Maul auf, ein Vorgang, der dem Gähnen zumindest ähnlich sieht, obwohl es auch etwas ganz anderes darstellen könnte. Das Problem: Siamesische Kampffische lassen sich keine Armbänder anlegen.
    Vielleicht erklärt dieser Ansatz die seltsame Gähnhäufigkeit bei Marathonläufern kurz vor dem Start, bei Fallschirmspringern vor dem Sprung und Studenten vor dem Examen: Sie werden gerade richtig wach. Es kann sein, dass beim Mundaufsperren ein zusätzlicher Schub Blut ins Hirn gepumpt und so irgendwie die Aufmerksamkeit erhöht wird. Wenn das stimmt, wäre Gähnen eine Art Kickstart des Gehirns. Aber warum gähnen wir dann auch beim Müdewerden, wie jeder bestätigen kann? Dient Gähnen in diesem Fall als ein Alarm, um dem Körper klarzumachen, dass es so nicht weitergeht?
    Übrigens kann man Gähnen auslösen, wenn man es sich nur vorstellt beziehungsweise angestrengt darüber nachdenkt. Deshalb ist es auch ganz normal, wenn man beim Lesen über die Gähnforschung häufig gähnend innehält. Seit einigen Jahren nutzen Gähnforscher die modernen Verfahren der Neurologie und erzeugen Bilder der Hirnaktivität während des Gähnvorganges: Man steckt Probanden in eine Metallröhre (den MR-Scanner) und zeigt ihnen Gähnvideos – nicht etwa ausgesucht langweilige Filme, sondern Filme von gähnenden Menschen. Eine deutsch-finnische Arbeitsgruppe fand dabei 2005 Hinweise auf die Ursache des ansteckenden Gähnens: Es handelt sich dabei, ihren Ergebnissen zufolge, nicht einfach um eine Imitation des Verhaltens anderer. Genauer: Es ist kein Lernprozess in dem Sinne, dass wir uns ansehen, was der andere tut, und es dann nachmachen. Die für solche Lernvorgänge verantwortlichen Hirnareale, Spiegelneuronen genannt, werden nämlich durch Gähnvideos nicht stärker aktiviert als durch vergleichbare Videos ohne Gähnen. Wir müssen also nicht verstehen, wie ein anderer gähnt, um es selbst zu tun, es geschieht vollkommen automatisch. Deshalb wird spekuliert, es handele sich beim Gähnen um einen uralten Mechanismus, der eventuell zur Kommunikation in einer Gruppe und zur Synchronisation von Gruppenverhalten eingesetzt wird. «Los, Angriff!» oder «Achtung Feind!» oder aber auch «Gehen wir schlafen!» könnte die Nachricht sein, die dahintersteckt. Möglicherweise war Gähnen also ehemals eine schnelle und effektive Methode, die lebensnotwendigen Dinge ohne viel Gerede zu klären.
    Der Hirnforscher Steven Platek und seine Gruppe dagegen kommen im Rahmen ihrer Gähnexperimente zu einem anderen Schluss. Nach ihrer These ist die Gähnansteckung ein Akt des Mitgefühls, eine Ansicht, die schon in den 1970er Jahren geäußert wurde. Um ihre Theorie zu testen, verglichen Platek und Kollegen im Jahr 2003 das Gähnverhalten von Menschen, bei denen durch Persönlichkeitstests entweder eine besonders hohe oder besonders niedrige Empathiefähigkeit festgestellt wurde. Auch hier wurden Gähnvideos

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