Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
– und setzte Preisgelder von jeweils 1 Million Dollar für die sieben «Jahrtausendprobleme» der Mathematik aus. Auf Platz eins der Liste steht eines der wenigen Hilbert-Probleme, das hundert Jahre intensiver Bemühungen der Mathematiker unbeschadet überstanden hat: Die Riemann-Hypothese oder die ewige Frage, welchem Muster die Verteilung der Primzahlen folgt.
Alle, die diese Million für leichtverdientes Geld halten, seien darauf hingewiesen, dass es sich bei allen sieben Problemen um harten Stoff handelt und man eigentlich zumindest ein abgeschlossenes Mathematikstudium benötigt, um sie vollständig zu durchdringen. Für die Riemannsche Vermutung etwa braucht man nicht nur ein Verständnis von den sogenannten komplexen Zahlen und fortgeschrittener Differentialrechnung, man muss auch noch mit unendlichen Reihen von Zahlen umgehen können, eine Fähigkeit, die einem im normalen Leben überhaupt nichts bringt. Moderne Mathematik ist eine Ansammlung von hochgradig abstrakten Konzepten, die sich gegenseitig durchdringen und auf den ersten Blick erschreckend nutzlos aussehen, was allerdings ein Trugschluss ist. In der Tat sind bestimmte Aspekte des physikalischen Weltbildes so abstrakt, dass die dazugehörige Mathematik noch nicht einmal erfunden ist. Die Welt ist eben noch komplizierter als Mathematik. Trotzdem muss es möglich sein, wenigstens die Grundidee der Riemann-Hypothese aufzuschreiben, so einfach, dass Menschen nicht in tiefe Depressionen stürzen, und doch so weit korrekt, dass Mathematiker nicht anfangen, mit Steinen zu werfen.
Eines der großen Mysterien dieser Welt sind die Primzahlen, also Zahlen, die sich nur durch eins und sich selbst teilen lassen, zum Beispiel 2, 3, 5, 7, 11 usw. Es gibt viele eigenartige Geschichten rings um diese seltsamen Zahlen. Euklid bewies bereits vor mehr als 2000 Jahren, dass jede natürliche Zahl größer als eins, wirklich jede, entweder selber eine Primzahl ist oder sich als Produkt von Primzahlen darstellen lässt. Die Zahl 260 etwa ist zwar keine Primzahl, ergibt sich aber aus 2 × 2 × 5 × 13 – alles Primzahlen. Primzahlen werden zwar immer seltener, je weiter man zu großen Zahlen vordringt – unter den ersten 10 Zahlen gibt es 4 Primzahlen, unter den ersten 100 noch 25, unter den ersten 1000 nur 168. Trotzdem gibt es unendlich viele von diesen unteilbaren Gesellen; auch das hat bereits Euklid bewiesen. Aber wo liegen die Primzahlen? Lassen sie sich nieder, wo es ihnen gerade passt? Oder folgen sie einer Ordnung, und sei es auch einer sehr komplizierten?
Ein wichtiger Hinweis in dieser Angelegenheit kam von Carl Friedrich Gauß. Im Jahr 1791, er war damals erst deprimierende 14 Jahre alt, vermutete Gauß, dass man die «Primzahlendichte», also die Anzahl der Primzahlen, die zwischen null und einer bestimmten Zahl liegen, für große Zahlen mit einer einfachen Formel vorhersagen kann. Zwei Beispiele: Zwischen 0 und 1000 liegen 168 Primzahlen, die Dichte der Primzahlen ist also 16,8 Prozent. Mit Gauß’ Formel ergeben sich 14,4 Prozent, was schon nicht schlecht ist, aber noch klar daneben. Für den Zahlenbereich zwischen 0 und einer Million ist die Primzahlendichte nur noch 7,8 Prozent, die Formel sagt 7,2 Prozent voraus, liegt also schon fast richtig. Je größer die Zahlen werden, desto mehr nähert sich die tatsächliche Dichte dem leicht ausrechenbaren Wert an. Genau genommen schwankt die Primzahlendichte unermüdlich um diesen Wert, wobei das Ausmaß der Schwankungen immer mehr abnimmt, je größer die Zahlen werden. Es dauerte mehr als 100 Jahre, bis der Franzose Jacques Hadamard und der Belgier Charles de la Vallée Poussin den Geniestreich des jungen Gauß beweisen konnten. Mit Hilfe dieses Theorems ließ sich jetzt zumindest ungefähr ausrechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine beliebige, unbequem große Zahl, sagen wir 3 608 152 892 447, eine Primzahl ist – das «ungefähr» jedoch stört noch ein wenig. Die Riemannsche Vermutung lieferte den nächsten Schritt zu einer genaueren Verortung der Primzahlen.
Dafür lohnt es sich, ein wenig in den Abgründen der modernen Mathematik herumzustochern. Wer darauf verzichten will, sollte besser die nächsten zwei Absätze überspringen. Ihm entgeht dann allerdings eine der wichtigsten Errungenschaften der Neuzeit, die komplexen Zahlen.
Schon im Altertum fand man heraus, dass die gebräuchliche Vorstellung von Zahlen die Menschen in ihrem Drang, die Welt zu verstehen, stark beschränkt. Zum Beispiel
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