Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
Einfluss: Es zählen nur die Söhne ein und derselben Mutter. Das alles spricht für einen Faktor, der sich bereits im Mutterleib und nicht erst im Sandkasten auswirkt. Um was es sich dabei handelt, ist noch ungeklärt – eventuell reagiert das mütterliche Immunsystem auf «männliche» Proteine. Und weil die Natur es den Forschern nicht zu leicht machen will, gilt das alles nur für Rechtshänder.
Eine andere These aus der biologisch orientierten Forschung besagt, dass der Spiegel männlicher Hormone im Mutterleib sowohl Auswirkungen auf die spätere sexuelle Orientierung des Kindes als auch auf das viel leichter zu messende Längenverhältnis zwischen dessen Ring- und Zeigefinger hat. Die Ergebnisse dieser Studien waren bisher recht widersprüchlich, was auch daran liegt, dass andere Faktoren wie ethnische Herkunft sich ebenfalls auf das Fingerlängenverhältnis auswirken. Zwillingsstudien zur Homosexualität scheinen auf einen gewissen, wenn auch nicht sehr ausgeprägten genetischen Einfluss hinzudeuten, der bei Männern womöglich ausgeprägter ist als bei Frauen. Manche Forscher vermuten einen Sitz der männlichen Homosexualität auf dem X-Chromosom, weil sie bei den Verwandten mütterlicherseits häufiger auftritt. Andere wenden ein, eine Vererbung über die väterliche Linie werde dadurch behindert, dass Schwule einfach seltener Kinder haben. Insgesamt deutet einiges darauf hin, dass es neben anderen Formen eine – auf welchem Weg auch immer – biologisch bedingte Homosexualität gibt und dass sie bei Frauen anders entsteht als bei Männern.
Ob für andere sexuelle Interessen als die Homosexualität ähnliche Zusammenhänge existieren, ist bisher schlicht aus Mangel an Forschungsarbeiten unbekannt. Es gibt anekdotische Berichte über Menschen, die etwa als Folge von Gehirnverletzungen oder Medikamenteneinnahme plötzlich ungewöhnliche sexuelle Neigungen entwickeln oder ablegen, aber Untersuchungen etwa an Fetischisten, Sadomasochisten oder Zoophilen, die nicht nur auf Einzelfällen beruhen, liegen noch nicht vor. Schon über Männer weiß man in dieser Hinsicht nicht viel, über Frauen noch weniger. Manche Sexualwissenschaftler streiten ab, dass derlei bei Frauen überhaupt – außer in seltenen Ausnahmefällen – vorkommt. Es sieht auch nicht so aus, als würde sich an dieser unbefriedigenden Forschungslage in nächster Zeit viel ändern. Weltweit befassen sich nur wenige Sexualwissenschaftler mit der Suche nach den Ursachen sexueller Interessen, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass es weltweit nicht sehr viele Sexualwissenschaftler gibt. Mediziner und Psychologen reißen sich nicht gerade um diese Themen, weil man besser eine große, selbstbewusste und diskriminierungsfeste Lobby hinter sich haben sollte, wenn man Forschungsgelder und Universitätsstellen erhalten und in den Medien nicht als «Zehenlutschforscher» verlacht werden will. Diese Rahmenbedingungen sind bisher nur für die Erforschung der Homosexualität halbwegs gesichert.
Hin und wieder findet man in anderen Fachbereichen versehentlich etwas über die menschliche Sexualität heraus: Der amerikanische Neurologe Vilayanur S. Ramachandran führt, ausgehend von seinen Forschungsarbeiten zum Thema Phantomschmerz, den weit verbreiteten Fußfetischismus darauf zurück, dass die Informationen aus dem Fuß im Gehirn direkt neben denjenigen aus den Genitalien verarbeitet werden. Ein Patient Ramachandrans hatte berichtet, er erlebe nach der Amputation seines Fußes den Orgasmus in seinem Phantombein und dieser Orgasmus sei sogar befriedigender als zuvor. Allerdings erklärt diese Theorie eigentlich eher, warum viele Menschen es angenehm finden, wenn man ihnen an den Zehen lutscht, während der Wunsch des Fußfetischisten, an fremden Zehen zu lutschen, sich einer einfachen Erklärung nach wie vor entzieht. Ramachandran führt ihn auf die «Spiegelneuronen» zurück, die sich in den letzten Jahren bei Neurologen großer Beliebtheit erfreuen. Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die beim Beobachten einer Tätigkeit die gleichen Gehirnareale aktivieren, als führte man dieselbe Tätigkeit selbst aus. Derzeit sind sie die eierlegende Wollmilchsau der Neuroforschung, weil man fast alles mit ihnen in Verbindung bringen kann. Fußfetischisten wollen Ramachandran zufolge also insgeheim nur, dass man sich ihren eigenen Füßen widmet, was nicht komplett ausgeschlossen, aber doch sehr unwahrscheinlich ist. Immerhin ist die These schon ein Fortschritt im
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