Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
Jahr knapp zwei Wochen nach Weihnachten begehen die christlichen Kirchen das sogenannte Dreikönigsfest. Ihren Ursprung hat diese Tradition in der Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Matthäus, die dazu folgenden Text enthält: «Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Bethlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.» Selten enthielt eine so kurze Passage so viele Rätsel. Sie liefert keine Informationen über die Namen der weisen Sterndeuter (Kaspar, Melchior und Balthasar hießen sie sicher nicht), ihre Anzahl (wahrscheinlich mehrere, drei ist allerdings geraten) und ihre Herkunft (eventuell Persien oder Babylon). Außerdem: Nirgendwo wird erklärt, um welchen rätselhaften Stern es sich handelte. Der Stern von Bethlehem, der wohl einflussreichste Stern in der Geschichte der Sterne (die Sonne ausgenommen), ist ein großes Geheimnis.
Die folgende Diskussion geht von einigen Voraussetzungen aus, ohne die es sinnlos ist, nach dem Stern von Bethlehem zu suchen. Im Folgenden wird angenommen, dass es eine historische Figur Jesus aus Nazareth gab und dass die Evangelien des Neuen Testaments brauchbare Berichte von Zeitzeugen darstellen, in denen der Stern nicht etwa nachträglich dazugedichtet wurde, um der Begebenheit zusätzlichen Glanz zu verleihen. Alle diese Grundannahmen sind nicht hundertprozentig unumstritten; zum Beispiel taucht ab und zu die Theorie auf, das gesamte Neue Testament sei von den Römern nachträglich zusammengezimmert worden, um die Juden zu entzweien. Trotzdem sind diese drei Annahmen weniger fraglich als die astronomische Erklärung des Sterns von Bethlehem. Und man muss voraussetzen, dass es sich beim Weihnachtsstern um kein einmaliges Medienereignis handelte, das von einem gewissen Gott in Szene gesetzt wurde, denn ansonsten erübrigt sich sowieso jede Debatte.
Sind diese Voraussetzungen akzeptiert, wäre es als Nächstes hilfreich zu wissen, wann denn die Geburt von Jesus überhaupt stattfand. Das ist leider nur sehr grob bekannt. Übereinstimmend berichten Lukas und Matthäus, dass dieses Ereignis in die Regentschaft des König Herodes fiel, der, als er vom neuen König erfuhr, alle Neugeborenen in der Gegend von Bethlehem umbringen ließ, um sich unliebsame Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Herodes wiederum starb kurz vor dem (nachträglich festgelegten) Start der aktuellen Zeitrechnung, also eigentlich «vor Jesu Geburt» – unser Kalender ist in dieser Hinsicht etwas ungenau. Die wichtigste Quelle zur Festlegung von Herodes’ Tod ist der römisch-jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, der rund achtzig Jahre später berichtete, Herodes sei kurz nach einer Mondfinsternis, aber vor dem darauffolgenden jüdischen Passahfest gestorben. Lange ging man davon aus, dass die Mondfinsternis im März des Jahres 4 v. u. Z. gemeint sein müsse. Zwischen ihr und dem Passahfest liegen allerdings nur etwa vier Wochen, in denen zahlreiche belegte historische Ereignisse – unter anderem so zeitaufwändige Dinge wie Hinrichtungen, Verschwörungen und schließlich die ausgedehnten Trauerfeierlichkeiten für Herodes – stattgefunden haben müssten. Aus ungeklärten Gründen geben Kopien des Flavius-Reports aus der Zeit vor 1552 ein anderes Datum für den Tod des Herodes an, nämlich nach der Mondfinsternis im Januar des Jahres 1 v. u. Z., was genügend Zeitabstand bis zum Passahfest ließe. Das Kopieren von Dokumenten war bis vor einigen hundert Jahren leider etwas fehleranfällig. Es wurde vorwiegend von Mönchen durch einfaches Abschreiben vorgenommen, denn Mönchen im Mittelalter war die Benutzung von Fotokopierern aus religiösen Gründen untersagt. Vielleicht hat ein müder Mönch vor fünfhundert Jahren im Kerzenschein die Zahlen vertauscht.
Eine weitere Eingrenzung könnte ein Hinweis liefern, den zum Beispiel Lukas in seinem Evangelium hinterlassen hat: «Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.» Wegen dieser ominösen «Schätzung» zogen Josef und Maria nach Bethlehem. Im Wesentlichen kommen zwei historische Ereignisse infrage, die zu einer solchen allgemeinen Massenwanderung hätten Anlass geben können. Zum einen musste jeder Bürger aus steuerrechtlichen Gründen alle 20 Jahre seinen Geburtsort aufsuchen, für moderne Verhältnisse eine Zumutung. Eine dieser Steuererfassungen
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