Liberator
nicht finden.«
»Dann machen wir uns jetzt alle auf die Suche«, sagte Riff. »Wir schwärmen aus … Was macht die denn da?«
Unja war den Korridor entlang zu einer imposanten Tür gelaufen, die von Marmorstatuen flankiert war. Sie hatte die Tür geöffnet und spähte hinein. Dann drehte sie sich zu den anderen, rief etwas und winkte sie herbei.
»Vielleicht hat sie etwas gefunden«, sagte Orris.
Alle sahen sich an, nickten und rannten hinter Unja her, die gerade in der Tür verschwunden war. Col betrachtete kurz die Statuen: eine männliche und eine weibliche Figur in stolzer und feierlicher Pose, elegant gekleidet und mit kunstvollen Frisuren. Hinter dieser Tür mussten sich ganz besondere Räume befinden.
Drinnen roch es nach Zigarrenrauch. Col erblickte grün bezogene Spieltische, über denen Glühlampen mit bemalten Lampenschirmen von der Stuckdecke hingen. Auf der einen Seite des Raumes war ein schwarzes Tier an einem Ring in der Wand angekettet. Es war größer als eine Katze und kleiner als ein Tiger; es zeigte die Zähne und beobachtete die Eindringlinge mit seinen glänzenden gelben Augen.
Unja war wie berauscht: Sie streichelte die Lampenschirme und den grünen Filz, mit dem die Tische bezogen waren, als müsste sie alles erst berühren, um glauben zu können, dass es existierte.
Dann betraten sie den nächsten Raum, der noch luxuriöser eingerichtet war. Col verschlug es den Atem – überall Samt und Seide, Bernstein und Schildplatt, feinste Spitzen und glitzerndes Kristallglas. Purpurfarbene Vorhänge hingen von einem gewaltigen Himmelbett herab, die Wände waren mit geflecktem braunen Fell bespannt, und die Luft war erfüllt von einem schweren exotischen Duft. Überall im Raum sah man die Spuren eines hastigen Aufbruchs: Kissen und Kleider waren über den Boden verteilt, ein aufgeschlagenes Buch lag auf dem Bett. Vom Nebenraum waren Geräusche zu hören. Col, Riff und Dunga hoben ihre Waffen, Col stieß die Tür vorsichtig mit seinem Fuß auf, und sie blickten in einen weiteren luxuriös ausgestatteten Raum – und auf die Quelle der Geräusche: eine Gruppe von Gesindlingen in ihrem Ledergeschirr. Sie alle trugen weiße Dienstuniformen, die in Brusthöhe mit den Buchstaben A&K bestickt waren. Unja deutete aufgeregt auf die Insignien, aber Riff zeigte in eine ganz andere Richtung. »Da können wir nach oben.«
Gleich neben der Tür befand sich nämlich noch ein Türbogen, hinter dem eine Treppe nach oben führte. Es handelte sich offenbar um eine private Treppe, die ausschließlich den Besitzern der Luxusräume zur Verfügung stand. Riff lief darauf zu, die anderen hinter ihr her. Die Treppe war schmal und nur schwach beleuchtet. Sie kletterten die Stufen bis zu einem kleinen runden Absatz hinauf. Hier oben gab es nur nackte Eisenwände, keinen Luxus mehr. Die Luft war frischer, und das Licht, das durch die Ritzen am Türrahmen fiel, war anders als in den Räumen unten. Sofort musste Col an den Gefechtsturm des Liberator denken.
»Hier geht es nach draußen«, sagte er. An der Tür waren Riegel angebracht, die aber nicht zugezogen waren. Col machte sich an der Türklinke zu schaffen. Metall rieb sich knirschend an Metall.
»Vorsicht!«, warnte Riff.
Jetzt standen alle hinter Col, der der Tür nur einen leichten Stoß gab – aber sie schwang, von einer Windbö ergriffen, weit auf. Col riss sie sofort zurück und hielt sie nur einen Spalt geöffnet. Vor ihnen zog sich das eiserne Deck der Romanow endlos hin. Es war von Pfützen übersät. Col erinnerte sich an das Unwetter, das aufgezogen war, als sie vom Liberator zur Romanow hinüberschlichen. Über Nacht, als sie Unten im Maschinenraum waren, musste das Gewitter niedergegangen sein. Jetzt, am Morgen, hatte es aufgeklart, und die Sonne schien.
In etwa fünfzig Metern Entfernung standen am Rand des Decks an die zwanzig sehr stattliche Damen und Herren. Die Herren trugen kurze Jacken und Schärpen und Reihen von Orden an der Brust. Die Damen wiederum hatten hochgetürmte Frisuren und waren ganz in Weiß gekleidet, bis hin zu ihren weißen Schleiern und weißen Handschuhen. Sie waren so prachtvoll gekleidet, als wollten sie gerade auf einen Ball gehen.
Unja zeigte auf die Gruppe und murmelte vor sich hin. Sie hatte sich auf Hände und Knie niedergelassen und sah durch den Türspalt. Besonders ein Paar hatte es ihr angetan. »Ja ich usnal! Eto Zar i Zariza!«
Col erkannte zwei der Worte. »Hat sie etwa …?«
»Der Zar und die Zarin!«,
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