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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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fiel ihm Orris ins Wort. »Das sind also Zar Alexander VI. und die Zarin Katharina. Natürlich. Die Initialen A&K .«
    Jetzt sah Col auch, wie sehr die beiden den Statuen neben der Tür im Korridor ähnelten. »Wir waren in ihren Gemächern«, sagte er langsam. »Wir haben ihre Privattreppe genutzt.«
    »Leise«, beruhigte Riff die beiden. »Sprecht leiser.«
    Zar Alexander trug eine einfache schwarze Bärenfellmütze, die er jetzt abnahm und einem seiner Begleiter reichte. Dann nahm er ein kurzes Zeremonienschwert aus der Scheide an seinem Gürtel und reichte es an einen zweiten Untergebenen weiter. Seine Gesten waren sehr bedacht und sehr majestätisch; die Begleiter verbeugten sich und nahmen die Gegenstände mit großer Ehrfurcht entgegen.
    Unja drückte so stark gegen die Tür, dass Col den Spalt etwas weiter öffnete. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass jemand in ihre Richtung blickte. Die Brise zerzauste ihnen die Haare und riss an ihrer Kleidung, auf dem Deck kräuselte sie die Pfützen und ließ sie im grellen Sonnenlicht glitzern.
    »Was soll diese Zeremonie bedeuten?«, fragte Orris Col. Denn nun reichte die Zarin ihre weißen Handschuhe einer Hofdame. Zar Alexander stand kerzengerade mit vorgestreckter Brust, während ein Höfling in Felljacke und kniehohen Stiefeln seine Medaillen und Ordensbänder eins nach dem anderen abnahm und auf ein kleines Kissen legte, das ein anderer hielt.
    Zwei weitere Bedienstete machten sich am Rand des Juggernaut zu schaffen, wo eine Rampe hinauf zur Brüstung führte. Sie breiteten ein weißes Tuch mit Quasten auf der Rampe aus, als ob sie ein Tischtuch zum Essen auslegten.
    »Hört mal!«, sagte Dunga plötzlich.
    Col hatte sich schon ganz und gar an den Kampflärm und das Singen als Hintergrundgeräusch gewöhnt, doch jetzt hatte sich das Lied verändert. Die Swolotschi sangen nicht länger ihr Widerstandslied, jetzt sangen sie ein Siegeslied. Es wurde immer lauter und klarer.
    »Sie haben gewonnen!«, rief Cree aus.
    Jarvey hob eine geballte Faust in die Höhe. »Sie kommen an Deck.«
    Weil sich alles auf der anderen Seite des Turms abspielte, konnten sie nichts sehen. Dann ertönte sehr lautes Geschrei, und einige Gewehrsalven wurden abgegeben, anscheinend unternahm die Zarengarde noch einen letzten verzweifelten Versuch, die Swolotschi aufzuhalten.
    Was sie sehen konnten, war die Reaktion der kaiserlichen Familie. Der Zar und die Zarin blickten ganz kurz in die Richtung, aus der der Kampflärm ertönte, dann beschleunigten sie ihre Aktionen. Der Zar schüttelte seinen Untergebenen die Hand und sprach einige Worte zu jedem von ihnen.
    »Kann ihn von hier erschießen«, sagte Dunga mit einem Blick auf ihre Waffe.
    »Nee, warte«, gab Riff zurück. »Ich will sehen, wie’s weitergeht.«
    Der Zar wandte sich jetzt an seine Zarin und verbeugte sich. Sie antwortete mit der winzigen Andeutung eines Knickses. Dann schritten sie Seite an Seite zur Rampe, stiegen hinauf und … traten ins Leere.
    Col stockte der Atem. Allen stockte der Atem. Col musste sich die Szene noch einmal vor Augen rufen, bevor er fassen konnte, was gerade geschehen war. »Warum haben sie das getan?«, fragte er laut.
    Jetzt folgten auch die Höflinge und Hofdamen in Zweiergruppen ihrem Herrn und ihrer Herrin. Ein Paar nach dem anderen betrat die Rampe, stieg hinauf und trat am Ende ins Leere. Die Bärenfellmütze, den Degen, die Handschuhe und die Orden nahmen sie mit in den Tod.
    »Vielleicht weiß ich die Antwort«, sagte Orris. »Der russische Adel war immer schon berühmt für seinen aristokratischen Ehrenkodex. Der Zar hätte niemals mit der Demütigung leben können, von seinen eigenen Dreckigen gestürzt worden zu sein.«
    »Das heißt, wir haben gesiegt?« Dunga blickte fragend in die Runde.
    »Einfach so?« Col konnte es kaum glauben.
    Riff dafür um so mehr. »Unsere zweite Revolution!«, jubelte sie. »Erst die Briten, dann die Russen! Jetzt kann uns keiner mehr aufhalten!«
    Sie trat die Tür auf und stolperte ins Freie. Es roch nach Schießpulver. Col ging ein Stück über das Deck, um zu sehen, was auf der anderen Seite vor sich ging. Die Zarengarde hatte eine Verteidigungslinie quer über die Romanow gebildet. Manche der Soldaten standen, andere knieten, manche hatten den Degen gezückt, andere schossen mit ihren Gewehren. Und viele lagen in ihrem Blut ausgestreckt auf dem Deck.
    Die Swolotschi drängten sich auf der anderen Seite der Verteidigungslinie. Col konnte sie eher hören als

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