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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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Riff pfiff vor Erstaunen. »Lyes Seile!«
    Etwa hundert Meter von ihnen entfernt hingen die abgeschnittenen Seile von den Enterhaken in den Masten der Romanow herab. Die Dreckigen waren begeistert, aber Orris strich sich sorgenvoll über das Kinn und sagte: »Ich glaube nicht, dass ich an den Seilen hinunterklettern kann.« Col war sich auch nicht so sicher. Er war zwar weniger als halb so alt wie sein Vater, aber viel schwerer als die Dreckigen und weniger gelenkig.
    »Brauchst du auch nicht«, beruhigte Riff Orris. »Du bleibst hier mit Unja und bringst die Revolution zuende.«
    »Wie das?«
    »Kannst du sagen: Der Zar ist tot?«
    Orris überlegte einen Moment. »Zar mertw.«
    »Unja?«
    Unja blickte sie an, und Orris wiederholte den Satz. »Zar mertw.«
    Unja klatsche in die Hände. »Zar mjertwyj. Zariza mjertwa!«
    »Ja, die Zarin auch.« Riff wandte sich wieder direkt an Orris. »Du musst das den Soldaten der Zarengarde solange zurufen, bis sie sich ergeben.« Dann fragte sie Col. »Und, was ist mit dir? Schaffst du’s mit dem Seil?« Col zog eine Grimasse. »Was hab ich schon zu verlieren?«
    Riff grinste. »Genau. Wir werden das hier sowieso nicht überleben.«
    »Nicht gegen die versammelten imperialistischen Armeen!«
    »Wir sind erledigt.« Riffs Grinsen wurde breiter. »Wir haben nichts mehr zu verlieren.« – »Überhaupt nichts.«
    Sie sahen sich in die Augen. Es gab auf einmal nur noch sie beide. Dies war kein Kampf, aber Col wartete auf die Bewegung in Riffs Augen, die die Bewegung der Muskeln ankündigte. Auf ganz eigenartige Weise fühlte er sich frei … Alle Fesseln, die ihn bisher gebunden hatten, waren mit einmal gelöst. Wenn sie doch sowieso sterben würden … Sie sprangen in derselben Sekunde aufeinander zu. Er riss sie in seine Arme und drückte sie so fest und hart und heftig an sich, wie er nur konnte. Und sie drückte genauso heftig zurück. Dann küsste sie ihn, aber nicht sanft und weich, sondern so, als wollte sie ein Zeichen hinterlassen. Er erwiderte ihren Kuss mit verzweifelter Sehnsucht. Sie klammerten sich aneinander, bis sie keine Luft mehr bekamen.
    »Zar mjertwyj!«, schrie Orris so laut er konnte.
    »Zariza mjertwa!« schrie Unja. Sie liefen über das Deck und riefen zur Garde hinüber. Col und Riff lösten sich zögernd voneinander. Sie sahen sich noch immer in die Augen.
    »Das Glück war einfach nicht auf unserer Seite«, sagte Riff leise.
    Col schüttelte den Kopf. »Ich bin glücklich«, sagte er. »Ich bin der glücklichste Mensch der Welt.«
    »Kommt schon, ihr zwei. Es geht los!« Dunga, Cree und Jarvey rannten zu den Seilen. Col und Riff folgten ihnen.
    72
    Col und Riff ließen sich nebeneinander an den Seilen herab, aber Riff war schneller. Col hatte seinen Degen durch den Gürtel gesteckt, so dass die Klinge nach unten zeigte und ihn nicht verletzten konnte. Er ließ das Seil um seine Schulter laufen und hangelte sich Griff für Griff nach unten, während er die Füße gegen den Rumpf des Juggernaut stemmte.
    In seinem ganzen Leben hatte er sich nicht so lebendig gefühlt wie in diesem Augenblick: der Wind auf seiner Haut, die Sonne auf seinem Rücken und die frische Luft in seiner Lunge. Nichts war mehr wichtig, überhaupt nichts – er schwebte nach unten, als habe er Flügel.
    Das letzte Stück war das schwierigste, denn das Seil reichte nicht bis zur Erde, es fehlten etwa fünfzehn Meter. Col sah, das Riff sich – flach gegen den eisernen Rumpf der Romanow gepresst – wie ein Krebs mit Fingern und Zehen von einem Bolzenkopf zum nächsten nach unten bewegte. Er kopierte ihre Technik. Es war zwar schwerer für ihn, weil der Degen die ganze Zeit gegen seine Seite drückte, aber er fühlte sich traumwandlerisch sicher. Als er nur noch drei Meter über dem Erdboden hing, sprang er. Die Spitze des Degens bohrte sich in die weiche Erde neben ihm.
    Riff, Dunga, Jarvey und Cree hatten die Zeit, während der sie auf ihn warteten, genutzt, um ihre nächsten Schritte abzustimmen. Es befanden sich kaum Soldaten in ihrer Nähe, denn alle Truppen wurden um den belagerten Liberator zusammengezogen. Nur ein paar Soldaten bewachten den Schlauch an der Stelle, wo er aus der Romanow nach außen trat. Zweifellos hatte Riff sie deshalb zu ihrem ersten Angriffsziel erkoren. Col sah keinen Grund, den Angriff hinauszuschieben. Da gab es einen Schlauch durchzutrennen, und er hielt die scharfe Klinge dafür in seiner Hand! Er hob den Degen und schwang ihn über seinem Kopf.
    »Auf

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