Liberator
Befehl hin ließen Hunderte Soldaten ihre Waffen fallen und rannten hinter ihnen her. Riff feuerte mit ihrer Pistole und Dunga mit ihrem Gewehr. Sie konnten zwar ein paar Soldaten unschädlich machen, aber die übrigen bewegten sich wie eine Welle auf den Tieflader zu. Die Soldaten versuchten überhaupt nicht, sie anzugreifen, sondern hielten sich an jedem hervorspringenden Teil des Fahrgestells fest – und stemmten die Füße in den Boden.
Die Räder der Lokomobile begannen durchzudrehen. Dunga und Riff schossen weiter, und Col schwang seinen Degen. Die Soldaten lernten allerdings schnell, den Degenstreichen auszuweichen, und Col konnte immer nur ein paar von ihnen auf einmal bedrohen – es waren einfach zu viele. Gut hundert Mann brachten schließlich mit ihrem Körpergewicht die Maschine zum Stillstand.
»Hab keine Patronen mehr«, schrie Dunga plötzlich.
»Ich auch nicht«, gab Riff zurück.
Jetzt setzten sie sich mit den Kolben ihrer Waffen zur Wehr, Cree und Jarvey kämpften mit den bloßen Händen. Col beugte sich über das Drahtgitter und stieß mit seinem Degen nach den Angreifern. Er war wie in Trance, tänzelte von einer Stelle zur anderen und war nur auf den Kampf konzentriert, so wie Riff es ihm einst beigebracht hatte.
Neue Befehle wurden geschmettert, und eine neue Welle von Soldaten rannte auf sie zu. Diese Soldaten waren zwar bewaffnet, aber auch sie riskierten nicht zu schießen. Stattdessen schwangen sie ihre Gewehrkolben wie Keulen, so wie Dunga es gemacht hatte. Während die Soldaten der ersten Angriffswelle sich duckten, ohne den Tieflader loszulassen, schlugen die der zweiten mit ihren Kolben zu.
Plötzlich stieß Jarvey einen Schrei aus – er war von einem fürchterlichen Schlag getroffen worden und brach zusammen; Blut spritzte aus einer Wunde an seinem Kopf ins Stroh.
Für einen Moment wurde Col aus seiner Trance gerissen. Und genau in dieser Sekunde übersah er einen gegen ihn geschwungenen Gewehrkolben. Er traf seine Hand und schlug ihm den Degen aus den tauben Fingern.
Er war entwaffnet! Hilflos trat Col einen Schritt zurück und ließ seine Augen über das Gelände schweifen. Der Liberator war dem Untergang geweiht. Col konnte durch die lichter werdende Nebelwand allein acht Leitern ausmachen, die schon bis zur untersten Terrasse des Juggernaut reichten. Die ersten Kletterer hatten die Terrasse fast erreicht, winzig sahen sie aus der Entfernung aus. Sie schützten sich mit einer Art Schild, und anscheinend hatten die Verteidiger kein Mittel gefunden, sie aufzuhalten.
Es ging dem Ende entgegen. Die Lautsprecherstimmen schmetterten weiterhin einen Befehl nach dem anderen über das Gelände. Der Tieflader lag bewegungsunfähig knapp acht Meter vor dem Turm, und eine Reihe von Soldaten hatte jetzt bereits das Gitter erreicht. Nur noch ein Wunder konnte die Revolution retten.
Ssss-zack !
Irgendetwas kam zischend durch die Luft geflogen und bohrte sich etwa zwanzig Schritte entfernt in die Erde. Es zitterte, und seine vielen Widerhaken glänzten.
Col hielt die Luft an. Das Seil, das an ihm festgemacht war, führt direkt zur höchsten Terrasse des Liberator . Es war einer der Enterhaken.
77
Mehr und mehr Enterhaken sausten herab. Zehn, zwanzig, dreißig, alle innerhalb eines Radius von hundert Metern.
Die Soldaten, die am Gitter hingen, sprangen herunter, und alle Soldaten um sie herum hörten auf zu kämpfen. Ein Mann wurde von einem der Enterhaken an die Erde gespießt und schrie vor Schmerzen, aber seine Kameraden waren zu erschrocken, um ihm zu Hilfe zu kommen. Auch die Generäle mussten bemerkt haben, was geschah, denn die Lautsprecher verstummten plötzlich.
Riff, Cree und Dunga jubelten, aber Col stimmte nicht in den Jubel ein; er begriff einfach nicht, was gerade geschah. Die Enterhaken waren doch für einen Angriff auf die Romanow gedacht gewesen. Und was war das jetzt?
»Kuck doch!«, rief Riff und zeigte auf die oberste Terrasse des Liberator . »Kuck! Das ist das Projekt! Sie haben es geschafft!«
An jedem der Seile war eine Schlinge zu erkennen und in jeder Schlinge saß eine Gestalt. Col konnte sehen, wie sie sich oben abstießen und auf die lange Fahrt nach unten machten.
Das Projekt. Er erinnerte sich daran, dass Septimus von einem Projekt gesprochen hatten; es ging dabei unter anderem auch um Magneten. Sie mussten es in der Zeit angegangen sein, als er bei Sephaltina gewacht hatte.
Die Schlingen verschwanden für kurze Zeit in der Rauchwand und tauchten
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