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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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werden erschossen, bevor wir zehn Meter hinter uns haben.«
    »Ja! Aber wenn wir zehn Meter schaffen – sieh mal!«
    Er zeigte zurück auf den Weg, den sie gekommen waren. Dungas Trupp war der letzte gewesen und jetzt, nachdem sie in den Hinterhalt geraten waren, lagen sie noch immer am weitesten entfernt von der Residenz. Wenn sie es nur zehn Meter zurück schafften, waren sie dem Lichtkreis der Lampen entkommen und in völliger Dunkelheit.
    Dunga nickte. »Zurück? Über den Deich?«
    »Wir haben doch nichts mehr zu verlieren!«
    »Dann du und ich.« Sie blickte zwischen den Bohlen auf den Weg. »Du voran«, sagte sie lauter, »wir kommen durch!«
    Sie bewegte sich jedoch nicht, außer dass sie kurz zusammenzuckte und einen Überraschungsgrunzer von sich gab. Col musste kein Blut sehen, um zu wissen, dass sie getroffen war. Sie hielt sich das Bein oberhalb des Knies. Eine Arterie?
    »Jetzt biste auf dich allein angewiesen«, sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Los!«
    »Aber …«
    »Los!«
    Gebückt begann Col sich zu bewegen, kletterte über Dungas Beine und die der beiden anderen Dreckigen. Am Ende des Knüppeldamms lag das flache Stück, an das sich die leere Kaserne anschloss; der Deich lag zu seiner Rechten. Aber erst einmal musste er das Licht hinter sich lassen. Jeder Nerv seines Körpers schien ihm zu sagen: Tu es nicht! In seinem Herzen war er überzeugt davon, dass er sterben würde. Aber sein Kopf folgte der gnadenlosen Logik, die da hieß: Bleibst du, wo du bist, stirbst du sowieso.
    Er sprang auf und sprintete los. Ein Schritt, zwei, drei, fünf – und die Schüsse setzten ein. Er versuchte, Haken zu schlagen, aber die morastige Erde saugte an seinen Sohlen, seine Füße waren jetzt wie Blei. Acht Schritte, zehn, zwölf …
    Er war fast aus dem Licht, als ihn etwas an der Hüfte traf. Allerdings nicht ins Fleisch; es traf den Jutebeutel an seiner Seite. Er hörte einen metallischen Widerhall, und ein Schlag wie von einem Hammer haute ihn um. Er fiel das Gesicht voran in den Matsch und wartete auf den Gnadenschuss. Aber der kam nicht. Halten sie mich für tot? Bin ich im letzten schwachen Licht nicht mehr zu erkennen?, fragte sich Col. Er zuckte bei jedem Schuss zusammen, aber niemand zielte mehr in seine Richtung. Er robbte langsam aus dem Licht und zerrte dabei den Jutebeutel hinter sich her. Der Knüppeldamm, der zu der Kaserne führte, lag gleich zu seiner Linken. Auf allen Vieren kletterte er hinauf und begann wieder zu rennen.
    Hinter sich hörte er das Gewehrfeuer, sowohl auf der Deichseite als auch im Magazinbereich. Hier konnte es ihn nicht mehr erreichen, aber den Deich zu überqueren war noch mal ein anderes Ding, denn sobald er die Schienen der Lorenbahn erreicht hatte, war er komplett ohne Deckung. Er dachte gerade über einen weiten Umweg nach, als er etwas Rundes am Fuß des Deichs bemerkte. Ein Rohr? Ein Abwasserrohr? Er drehte sich um und rannte dorthin.
    Es war ein rostiges Eisenrohr, glitschig von Algen. Der untere Teil war mit Schlamm gefüllt, aber darüber blieb noch immer genug Platz für ihn. Er versuchte hineinzusehen, doch drinnen war es stockdunkel. Allerdings konnte er den Lärm der Sträflinge hier drinnen deutlicher hören, also musste es in die richtige Richtung führen. Er ließ sich auf seine Ellbogen und Knie nieder, platzierte den Jutebeutel vor sich und robbte los. Völlige Dunkelheit umgab ihn und Modergestank.
    Er kämpfte gegen einen Brechreiz an und robbte weiter.
    Das Rohr verlief jetzt leicht abschüssig und war immer höher mit Schlamm gefüllt. Col machte sich so flach wie möglich, doch inzwischen kratzte sein Rücken am Rohr über ihm. Wie sollte es nun weiter gehen? Wurde das Rohr immer enger? Ich kann noch atmen, ich bin okay, versuchte er sich selbst Mut zu machen. Es roch immer fauliger, und er bekam kaum noch Luft. Das Rohr wurde enger, der Schlamm immer mehr. Er konnte seine Ellenbogen nicht mehr einsetzen; jetzt konnte er sich nur noch mit den Fingerspitzen ziehen und mit den Zehen vorwärtsschieben. Es ging kaum noch voran, aber er war sich sicher, dass er es zurück auf keinen Fall mehr schaffen würde. Inzwischen war er halb im Schlamm versunken; atmen konnte er nur noch mit zur Seite gedrehtem Kopf.
    Verzweiflung mobilisierte seine letzten Kräfte. Die Luft blieb faulig, und das Rohr verlief weiterhin abschüssig, aber ganz langsam wurde es etwas weiter. Über dem Schlamm war jetzt etwas mehr Platz. Er hatte den engsten Punkt

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