Liberator
Verteidigung zu kommen.
Genug. Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte davon.
»Oh, er will uns schon verlassen«, hörte er Lyes höhnische Stimme. »Warum gibst du dich bloß mit ihm ab?«
27
Am nächsten Tag kamen weitere Flüchtlinge. Die Gruppen in den kleineren Ghettos fühlten sich zunehmend unsicher. Sie brachten Geschichten von Verhöhnungen, Bedrohungen und nächtlichem Gegen-die-Türen-Schlagen mit sich; von Müll, der ihnen vor die Türen geworfen wurde; von bedrohlichen Strichmännchen, die an ihre Wände gezeichnet wurden.
»Das Ganze hat System«, sagte eine ältere Frau, die aus den Werkstätten des Fertigungsdecks vertrieben worden war.
»Die Rotarmbinden«, sagte ihr Mann, »die zetteln den Ärger an.«
Gillabeth war in ihrem Element, sie gab jedem Anweisungen, was er zu tun und zu lassen hatte. Das Trösten und Beruhigen überließ sie anderen; ihr Job war es, Platz zu schaffen und alle unterzubringen. Bücherregale mussten an die Wand geschoben, Gänge geöffnet oder geschlossen werden. Col musste Matratzen und andere Sachen von einem Gang zum andern tragen.
Als vier Kindergärtnerinnen um Zuflucht nachsuchten, entschied Gillabeth, dass der große zentrale Tisch an die Seite des Raumes verschoben werden sollte. Septimus und der Professor sprachen dagegen. »Das kannst du nicht tun! Er stand schon immer in der Mitte des Raums.«
Gillabeth weigerte sich, ihnen zuzuhören. Sie fasste an ein Ende des Tisches, aber der war zu schwer, als dass sie ihn verschieben konnte.
»Fass mit an!«, befahl sie Septimus.
Er half ihr, aber unter Protest. »Ich verstehe nicht, was das soll«, beschwerte er sich. »Der Tisch nimmt immer gleichviel Platz ein, egal wo er steht.«
Gillabeth gab einen Stoßseufzer von sich. »Ja. Aber in der Mitte des Raumes steht er einfach im Wege. Außerdem haben die Menschen, die unter ihm schlafen werden, mehr Ruhe, wenn er an die Seite gerückt ist.«
»Unter dem Tisch schlafen?«
»Ach, halt einfach den Mund und schieb!«
Ziehend und schiebend bewegten sie den Tisch zur Seite. Antrobus folgte ihnen auf den Fersen und ließ kein Auge von seinem Federhalter und seinem Tintenfass. Einige lose Blätter schwebten zu Boden, aber Federhalter und Tintenfass blieben an ihrem Platz. Septimus bückte sich, um die Blätter wieder einzusammeln.
»Du bist ein Tyrann«, sagte er zu Gillabeth.
»Und du bist ein intellektueller Eierkopf.« – »Ich …« »Wenn es dir nicht passt, dann lasse ich auch noch Leute auf dem Tisch schlafen.«
Triumphierend rieb Gillabeth sich die Hände und machte sich auf den Weg zu ihrer nächsten Aufgabe.
Col, der das Ganze beobachtet hatte, trat zu Septimus hinüber. Unterwegs hob er seinen Bruder hoch und setzte ihn neben den Federhalter und das Tintenfass.
»Mach dir keine Gedanken wegen Gillabeth«, sagte er zu Septimus. »Sie ist schon immer so gewesen.«
»Sie ist großartig.«
»Hä?«
»So viel Schwung und Energie.« Septimus blickte ihr noch immer nach. »Weißt du, was ich glaube? Auch wenn ich natürlich kein Experte bin, wenn es um Menschen geht?«
»Was?«
»Ich glaube, sie hat nicht genug zu tun.«
»Sie wirkt aber ganz ausgelastet auf mich.« Col meinte das als Untertreibung, aber Septimus schüttelte seinen Kopf. »Nicht wirklich. Sie braucht zehnmal mehr zu tun als die meisten Menschen. Und hundertmal mehr als ich.«
»Aber du hast mit deinen Büchern doch wirklich viel zu tun.«
Septimus wischte das Lob beiseite. »Ich habe sie beobachtet. Seit Wochen sucht sie nach Dingen, die sie in Angriff nehmen kann. Versucht, sich selbst Aufgaben zu stellen.«
»Jetzt hat sie ja eine Aufgabe.«
»Schon. Aber eine Bibliothek ist nicht groß genug für sie. Sie ist so kompetent und fähig. Sie braucht – ich weiß es nicht …« Septimus breitete seine Arme aus. »Sie braucht einen ganzen Juggernaut, den sie führen kann.«
Col grinste. »Ich glaube nicht, dass das den Dreckigen gefallen würde.«
Septimus breitete seine Arme noch weiter aus. »Eine ganze Flotte von Juggernauts.«
»Das würde den Imperialisten übrigens auch nicht gefallen«, sagte Col und grinste noch breiter.
Septimus grinste nicht zurück. »Siehst du, ich erledige Dinge in meinem Kopf, weil ich ein intellektueller Eierkopf bin. Aber sie muss Dinge in der wirklichen Welt erledigen. Und wenn sie das nicht kann …«
»Wird sie unleidlich und herrisch.« Allmählich verstand Col, worauf Septimus hinauswollte.
»Und frustriert. Es endet damit, dass
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