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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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aber er glaubte nicht, dass Wicky Popo sich auch nur ansatzweise an ihn erinnern konnte. Plötzlich fühlte er sich unwohl und bereute es, ihn angesprochen zu haben.
    Auf einmal hörte er aufgeregte Stimmen aus der Ferne. Er sah sich um; die Stimmen kamen von seinen Leuten. Er lief so schnell er konnte zurück zu Septimus, Orris und dem Professor.
    Als er bei ihnen anlangte, fuchtelten sie alle aufgeregt mit den Armen und beteuerten ihre Unschuld, während sie von zwei Männern angeschnauzt wurden, die die rote Armbinde von Shivs Sicherheitstruppe trugen und Knüppel in den Händen hielten. Col war schockiert, als er sah, dass nur der eine ein Dreckiger, der andere aber ein Sträfling aus Botany Bay war, der noch immer in seiner Sträflingskleidung steckte. Sie drehten sich zu Col und hoben ihre Knüppel.
    »Noch einer«, sagte der Sträfling.
    Professor Twillip wandte sich mit unglücklichem Gesichtsausdruck an Col. »Sie lassen uns die Gesindlinge nicht untersuchen.«
    Der Dreckige knurrte. »Ihr habt auf’m Gartendeck nix verloren!«
    Er zeigte auf die Gesindlinge auf der Bank, die nun zwar hellwach waren, sich aber völlig passiv verhielten. »Das waren früher Menschen wie du und ich, bis ihr Typen sie zu dem gemacht habt, was sie jetzt sind!«
    Der Sträfling spuckte verächtlich aus. »Gartendeck’s für Protzer verboten.«
    »Ist das eine Anordnung des Rates?«, fragte Col.
    »Rat?« Der Sträfling zeigte auf seine rote Armbinde. »Is ’ne Anordnung von Shiv.«
    »Wir beugen Ärger vor«, fügte der Dreckige hinzu.
    »Wir machen keinen Ärger«, sagte Septimus.
    »Nicht? Ihr habt schon genug Ärger gemacht.«
    Der Dreckige fuchtelte mit seiner Faust vor Septimus’ Gesicht.
    »Vierundsechzig Tote, dank dir und deinen Typen!«
    Col brauchte eine Weile, bis er begriff, dass er die meinte, die bei dem Angriff auf Botany Bay ums Leben gekommen waren. Die Dreckigen gingen davon aus, dass ein Protzer sie mit der an einer Barackentür angehefteten handschriftlichen Nachricht verraten hatte. Ein Protzer, alle Protzer …
    »Warst du das?«, fragte der Dreckige und drückte seinen Knüppel gegen Septimus’ Brust.
    »Ich? Was?«
    »Hast du die Nachricht geschrieben?«
    »Natürlich nicht.«
    »Ich glaub, du lügst.« Der Dreckige drehte sich zu dem Sträfling. »Meinste nicht auch, dass der lügt?« Sie fingen an, sich in eine sinnlose Aggression hineinzusteigern.
    Col bückte sich und sammelte die medizinischen Bücher ein. »Lasst uns gehen«, sagte er zu den anderen. Wortlos zogen sie sich zurück. Die beiden Sicherheitsmänner folgten ihnen bis zum Ausgang. »Nächstes Mal gibt’s Prügel!«, schrie der Sträfling.
    Orris schüttelte den Kopf, als sie davongingen. »Ich verstehe nicht, was passiert ist«, murmelte er vor sich hin. »Ich dachte, wir sind alle auf derselben Seite.«
    »Es sind die Rotarmbinden«, klärte ihn Septimus auf. »Die sind anders.«
    Col sagte gar nichts, aber er dachte an den Sträfling. Shiv hatte also inzwischen auch Sträflinge für die Rotarmbinden rekrutiert. Dabei waren die Sträflinge von Botany Bay doch bei der Befreiung gar nicht dabei gewesen. Das war eine merkwürdige Entwicklung.
    26
    Das Laden der Kohle ging auch die nächsten Tage nur langsam voran. Nachts, wenn es still war, konnte man von sehr weit her das Rattern der Eimer hören.
    Col verließ den Liberator nun nicht mehr. Aber er verließ die Bibliothek, um die anderen Protzer-Ghettos zu besuchen – und überall hörte er dieselbe Geschichte: Die Dreckigen wurden immer aggressiver. Für sie kam zum Verrat des Angriffs auf Botany Bay noch hinzu, dass die Juggernauts der Imperialisten sich näherten. Die Protzer hatten sich mit der Zeit daran gewöhnt, gemieden und abgelehnt zu werden, aber dies war eine neue Stufe: Beleidigungen, kleine tätliche Übergriffe und Verfolgungen. Nur die sehr Mutigen trauten sich noch über die direkte Umgebung ihrer Ghettos hinaus. Außerdem schien die Anzahl der Rotarmbinden ständig zu wachsen, und immer mehr von ihnen waren Sträflinge. Col konnte nach wie vor nicht verstehen, dass die Sträflinge überhaupt an Bord durften.
    Und noch schlimmer wurde es, als die Rotarmbinden anfingen, Waffen zu tragen. Was bedeutete das alles nur? Der Rat hatte Riff doch zugestimmt, dass die Sicherheitstruppe nicht bewaffnet werden sollte. War sie inzwischen überstimmt worden? Oder hatte die neue Krisensituation sie dazu gebracht, ihre Meinung zu ändern?
    Drei Tage nach dem Angriff auf Botany Bay

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