Liberator
gibt also nur noch eine Gemäßigte, und die Radikalen haben die Mehrheit.«
»Sie meinen Shiv?«, fragte Gillabeth.
»Ihn und die andere. Wie heißt sie noch? Die mit dem samtschwarzen Haar.«
»Lye«, sagte Col.
»Genau, Lye. Wie konnte ich ihren Namen nur vergessen!« Mr. Gibber leckte sich über die Lippen. »Shiv ist völlig verrückt nach ihr. Und auch Gansy und Padder sind ihr schon mehr oder weniger verfallen. So habe ich es jedenfalls gehört.« Er verzog sein Gesicht. »Ist das nicht widerlich?«
Col sagte nichts. Mr. Gibbers Bericht deckte sich mit dem, was er erwartet hatte, insbesondere da Dunga nicht mehr an den Ratsversammlungen teilnehmen konnte. Ihre Verletzungen mussten schlimmer sein, als er gedacht hatte, denn sie war nicht der Typ, sich mehr als irgend nötig zu schonen.
»Natürlich sind das alles nur Gerüchte«, sagte Mr. Gibber plötzlich. »Vielleicht solltet ihr sie lieber nicht für bare Münze nehmen.«
»Aber so ist es Ihnen zu Ohren gekommen, oder?«
»Oh, ja.« Mr. Gibber schniefte leicht gereizt. »Jedenfalls bin ich besser informiert als die meisten anderen Leute!« Damit meinte er ganz offensichtlich Col und Gillabeth. Col verstand nie, was Mr. Gibber wirklich im Schilde führte, aber allmählich gewöhnte er sich an seine etwas wirre Art zu reden.
»Wir wissen Ihre Informationen zu schätzen«, sagte er abschließend. »Danke.«
Mr. Gibber begriff, dass das Gespräch beendet war, und blickte in den Papierkorb, den er noch in Händen hielt. »Ich hoffe, wir finden ein schönes Plätzchen für dich, Murgatrudd. Ruhig und ohne Zugluft …«
»Sie nehmen, was Sie bekommen!«, wies Gillabeth ihn zurecht, gab ihm ein Zeichen und ging davon. Mr. Gibber folgte ihr und sprach noch immer zu seinem Schoßtier.
Col hätte so gern gewusst, wie es Dunga ging, ob sie auf dem Weg der Besserung war. Wenn er doch bloß mit Riff reden könnte …
Eine halbe Stunde später erreichte ihn völlig unerwartet die Aufforderung, zu ihrer Kabine zu kommen.
29
Col kannte die beiden Dreckigen nicht, die die Aufforderung überbracht hatten. Die eine hatte einen Wuschelkopf, die andere ein rundes Gesicht und sehr gelbe Zähne. Wortkarg geleiteten sie ihn zu Riffs Kabine auf Deck 42.
»Weiter braucht ihr mich nicht zu begleiten«, sagte er zu ihnen, als sie auf den letzten Korridor zugingen.
»Ich kenne …«
Er brach ab, und sein Herz sackte ihm in die Hose. Vor Riffs Tür wartete eine Gruppe von Leuten: zwei Rotarmbinden im Sackleinen der Sträflinge, zwei Gesindlinge in ihren grauen pyjamaartigen Uniformen – und Shiv. Sein Herz rutschte noch tiefer, als er sah, wie die zwei Dreckigen, die ihn begleitet hatten, ebenfalls Armbinden aus ihren Taschen zogen und überstreiften.
»Was geht hier vor?«, fragte er. »Riff wollte mich sehen.«
»Sie muss dich sehen,« sagte Shiv und lächelte dünnlippig. »Aber das weiß sie noch nich.«
Col drehte sich schnell um, nur um festzustellen, dass seine Begleiterinnen nun seine Bewacherinnen waren und ihm den Rückweg verwehrten.
»Es war also ein Trick«, sagte er langsam, als er sich wieder zu Shiv wandte. » Du hast mich zu ihrer Kabine rufen lassen.«
Shiv ging zu Riffs Tür und klopfte dreimal. Eine Sekunde später steckte Lye den Kopf heraus.
»Das hat ja gedauert«, blaffte sie ihn an.
»Ich musste doch …«, setzte Shiv an.
»Egal.« Sie wandte sich erst an die Sträflinge und dann an die Dreckigen. »Ihr bringt die Gesindlinge. Ihr bringt ihn.«
»Ja, vorwärts Marsch!«, fügte Shiv lahm hinzu. Es war deutlich, dass die Rotarmbinden eher Lyes als seinen Befehlen folgten.
Col fragte sich, wie lange Lye bei ihnen schon das Sagen hatte. Seit wann Shiv ihre Marionette war. War es von Anfang an so gewesen? Er hatte immer Angst vor Shivs Macht gehabt, dabei war Lye die weitaus Gefährlichere …
»Was ist?« Riff hatte auf dem Stuhl unter dem Bullauge gesessen und sprang nun erschrocken auf. »Ich denke, du wolltest dich unterhalten.«
»Ein Notlüge – um der Wahrheit willen«, antwortete Lye.
»Was hat er hier zu suchen?« Riff zeigte auf Col.
»Wirst du gleich merken.« Lye machte ein Zeichen, und die Sträflinge schoben die Gesindlinge mitten in den Raum.
»Nein!« Riff fuhr entsetzt zurück. »Nein!« Ihre Stimme zitterte.
Col folgte ihrem Blick und sah nun, was er vorher über-
sehen hatte. Ein Gesindling war männlich, der andere weib-
lich – und der weibliche hatte blond-schwarz geschecktes Haar. Trotz ihrer
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