Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)

Dach des Gym nach Nordwesten.
    Die Lichtfinger der beiden Scheinwerfer, die eben noch in scheinbar willkürlich wilden Zickzackbahnen den Nachthimmel über dem Gelände der Lichtburg abgesucht hatten, rissen mehrere herantreibende Ballons aus der schützenden Dunkelheit und blieben an ihnen kleben.
    Augenblicklich stiegen von den Wachtürmen am Westtor Leuchtspurgeschosse zu ihnen auf. Die Kugeln zogen helle Linien durch die Schwärze des Himmels, zerfetzten die dünnen grauen Hüllen und ließen die Ballons abstürzen. Unter dem heftigen Beschuss wurden auch die unter den Flugobjekten hängenden Netze und primitiven Körbe in Stücke gerissen. Ihr Inhalt, dicke Stöße weiterer gelblicher Flugblätter, platzte im Kugelhagel auseinander, sodass regelrechte Papierwolken aus zerfetzten wie unversehrten Blättern herabsegelten und sich dabei immer mehr ausbreiteten.
    Die beiden Züge Guardians, die als Abordnung der Schutztruppe am Morgenappell teilgenommen hatten, waren schon längst davongestürmt. Nun öffneten sich die Stahltore der Kaserne und eine lange Kolonne von Trikes und Quads schoss hervor. Sie schwärmten in alle Richtungen aus, um Jagd auf die Raketenreste und vor allem auf die Flugblätter zu machen, dieses perfide Seelengift der Nightraider.

15
    Der Anschlag, der den Morgenappell so jäh unterbrochen hatte, war an den Tischen im Refectorium natürlich das alles beherrschende Thema. Auch bei Kendira und ihren Freunden.
    » Manchmal frage ich mich, was in den Köpfen der Nightraider bloß vor sich geht « , sagte Colinda mit vollem Mund. » Sieben Monate lang haben sie keine Ballons aufsteigen lassen und auch keine Raketen auf uns abgefeuert und dann fangen sie plötzlich wieder damit an. Verstehe das einer! «
    Leota nickte. » Ich dachte auch schon, die Nightraider hätten eingesehen, dass sie damit nichts bei uns erreichen können. «
    » Denen hat es vermutlich bloß am Nachschub gefehlt. Oder sie haben sich den Winter über in einem anderen Gebiet herumgetrieben « , warfHailey ein.
    » Und wenn schon. Es ist und bleibt mir ein Rätsel, warum sie nun wieder damit anfangen « , sagte Colinda. » Die müssen doch langsam wissen, dass sie damit nichts bei uns bewirken und dass ihr Seelengift sofort aufgesammelt und verbrannt wird. «
    » Irgendeinen Grund werden sie schon haben. « Kendira blickte kurz und verstohlen zu Dante hinüber. Er bediente gerade Master Seyward, der an diesem Morgen zusammen mit Master Brownstone Aufsicht im Refectorium führte. Sie saßen jeder für sich und an getrennten Tischen. Diese standen an den beiden Längsenden des Speisesaals auf kniehohen Podesten, damit sie von ihrer leicht erhöhten Position einen guten Überblick über die Tische der Electoren hatten.
    » Ach was! « , wehrte Hailey ab. » Das mit diesen lächerlichen Raketen aus verstärktem Karton ist nichts als Imponiergehabe! Es macht sie einfach rasend, dass sie unseren Guardians nicht gewachsen sind, sich beim letzten Gefecht blutige Nasen geholt haben und uns einfach nichts anhaben können, und deshalb veranstalten sie dieses ohnmächtige Feuerwerk. «
    » Kann schon sein, dass es so ist « , mischte sich Nekia nun ein. » Aber das erklärt noch nicht, warum sie ihre Raketen und Ballons jedes Mal mit diesen Flugblättern vollstopfen. Warum machen sie sich diese Arbeit? Leicht wird es bestimmt nicht sein, diese Ballons und Raketen zu bauen und sie mit diesen bedruckten Blättern vollzustopfen. « Sie machte eine kurze Pause, dann fügte sie hinzu: » Manchmal wünschte ich schon, ich könnte so ein Flugblatt mal in die Hände bekommen und lesen, was da draufsteht. «
    » Ja, ich auch! « , entfuhr es Leota spontan.
    » Seid ihr beide verrückt? « , kam es entsetzt von Hailey. » Habt ihr hier oben nicht mehr all eure Murmeln beisammen? « Sie tippte sich an die Stirn. » So ein Flugblatt ist Seelengift! Es auch nur aufzuheben, ist schon ein Code-10-Verstoß! Dafür kommt man auf den Stuhl! «
    » Ich weiß « , versicherte Leota und grinste schief. » Ich habe ja nicht gesagt, dass ich es tun würde, sondern nur, dass ich gern wüsste, was da draufsteht. Mehr nicht. «
    » Genau « , pflichtete Nekia ihr bei.
    » Was soll da schon draufstehen? Natürlich Seelengift! « , sagte Hailey barsch. » Was denn sonst? «
    Ein aufgeregtes Raunen ging plötzlich durch den Raum. Es setzte bei den Tischen in der Nähe der Küche ein und machte in Windeseile die Runde durch den Raum. Blitzschnell sprang die Neuigkeit im