Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
Refectorium von Tisch zu Tisch, dass die Nightraider auf dem Castlerock Hill unbemerkt die Leichen ihrer Kameraden vom Gitter geschnitten und weggetragen hatten.
Colinda lachte auf und blickte zu Hailey hinüber. » So, jetzt weißt du, was das ohnmächtige Feuerwerk der Nightraider in Wirklichkeit zu bedeuten hatte. Das Ganze war ein raffiniertes Ablenkungsmanöver! Und unsere Guardians sind auch glatt daraufhereingefallen. «
» Clever « , sagte Leota anerkennend.
Hailey verzog das Gesicht. » Und wenn schon! So ein Trick funktioniert nur einmal. Das nächste Mal werden sie nicht so viel Glück haben. «
» Mir jedenfalls fehlt der Anblick bestimmt nicht « , sagte Colinda. » Ich habe sowieso nichts für diese Art der Abschreckung übrig. Nicht nur, weil es so schaurig anzusehen ist, sondern weil ich finde, dass jeder seine Toten begraben… « Sie brach mitten im Satz ab, starrte zur Eingangstür hinüber und stieß verstört hervor: » Erhabene Macht, was wollen die denn hier? «
Kendira, die wie Leota und Nekia mit dem Rücken zum Eingang saß, blickte sich mit ihnen um. Und sie waren nicht die Einzigen, die ihre Unterhaltung abrupt abbrachen und den Blick auf die Tür richteten.
Denn Prinzipal Whitelock, ein stämmiger, stiernackiger Mann mit einem kantigen Gesicht und der gekrümmten, scharf geschnittenen Nase eines Raubvogels, hatte den Raum betreten. Aber er war nicht allein, sondern befand sich in Begleitung von vier Guardians. Sie folgten ihm mit heruntergeklapptem verspiegeltem Visier.
Mit einem Schlag wurde es still im Refectorium. Es war, als hielten alle den Atem an.
Templetons Stellvertreter schritt mit seinem Furcht einflößenden Gefolge den Mittelgang hinunter– und hielt geradewegs auf das Podest zu, auf dem Master Seyward an seinem kleinen Ein-Mann-Tisch saß.
Der bemerkte offensichtlich als Letzter im Saal, dass plötzlich eine unnatürliche angespannte Stille im Refectorium eingetreten war und Prinzipal Whitelock mit vier Guardians im Gefolge den Mittelgang herunterkam. Er hielt in der Rechten eine angebissene Scheibe Toast, kaute auf einem Bissen und blickte dabei konzentriert auf sein Tablet, das er neben seinem Teller liegen hatte.
Dann jedoch wurde auch ihm die scheinbar atemlose Stille bewusst. Er stutzte, blickte auf und ließ im nächsten Augenblick vor Schreck den Toast fallen, als er Whitelock mit den vier Guardians auf sich zukommen sah. Das Blut wich mit einem Schlag aus seinem Gesicht, auf das ein Ausdruck nackten Entsetzens trat. Wie gelähmt saß er auf dem Podest.
Prinzipal Whitelock blieb zwei Schritte davor stehen. » Master Seyward, im Namen der Erhabenen Macht und des Primas von Liberty 9, Sie sind verhaftet! « , verkündete er mit unbeweglicher Miene und eisiger Stimme. » Sie haben das Gesetz, dem Sie treu zu dienen geschworen haben, auf das Schändlichste gebrochen und entartetes Schriftgut, perfides Seelengift in die Sicherheitszone eingeschmuggelt. Damit haben Sie einen unverzeihlichen Code-10-Verstoß begangen. Für diesen Verrat an unserer Gemeinschaft werden Sie noch heute die Konsequenz tragen! «
» Nein! Das können Sie nicht tun! « , schrie Master Seyward und sprang in Panik auf. Dabei riss er Tisch und Stuhl um. » Ich habe doch nur für mich ein paar harmlose Klassiker mitgebracht! Nie habe ich vorgehabt, auch nur eines davon… «
» Schweigen Sie oder ich lasse Sie mit Gewalt zum Schweigen bringen! « , donnerte Whitelock und machte in Richtung der Guardians eine knappe, herrische Handbewegung. » Nehmt ihn fest und bringt ihn nach unten in die Arrestzelle! «
Master Seyward stürmte vom Podest und versuchte in Richtung Küche zu flüchten. Die Guardians hatten damit gerechnet und schnitten ihm mühelos den Weg ab.
Schreiend warf sich Seyward zu Boden und versuchte, sich ihren Händen zu entziehen, indem er wie wild mit Armen und Beinen um sich schlug und trat. Dabei steigerte sich sein Gebrüll zu einem markerschütternden Kreischen.
Die Guardians packten hart zu und brachen seinen Widerstand. Grob zerrten sie ihn auf die Beine. Und nun verwandelte sich sein Kreischen in ein erbärmliches Schluchzen und Wimmern. Tränen liefen ihm über das Gesicht, während er um Gnade flehte.
» Raus mit ihm! « , befahl Prinzipal Whitelock. » Dieser Mann ist ein abscheulicher Gesetzesbrecher und eine Schande für Liberty 9! Schafft ihn uns aus den Augen! «
Im Laufschritt trugen die Guardians den weinenden Master aus dem Refectorium.
Prinzipal
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