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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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wahnsinnig leise sein. Dieses Phänomen kannte er seit seiner Kindheit.
    »Sie muss sich den Magen verdorben haben. Sie übergibt sich ständig …«, fuhr Natasha fort und räumte hastig ein paar herumliegende Medikamente auf dem Nachttisch weg. Ihre Bewegungen waren fahrig. Neben dem eleganten Bett stand ein Plastikeimer, über dessen Rand ein Putzlappen hing.
    Ernesto trat zögernd näher und warf einen prüfenden Blick auf seine still daliegende Mutter. Ungeschminkt sah sie älter aus, als sie war. Ihr Mund stand leicht offen, ebenso ihre Augen. Ihr Blick war glasig.
    »Ernesto? Bist du das?«, flüsterte sie heiser. »Ich… ich kann dich – kaum erkennen…«
    Sie atmete flach.
    »Oh, verdammt, Mom«, gab Ernesto leise zurück. Vorsichtig setzte er sich neben sie. Ihr Gesicht sah geisterhaft aus und war von einer glänzenden Schweißschicht überzogen.
    Ernesto hob unwillig den Kopf. »Nat? Sie muss sofort ins Krankenhaus«, entfuhr es ihm. »Siehst du nicht, dass es ihr wahnsinnig schlecht geht?«
    Natasha zuckte zusammen. »Ja. Nein …«, stammelte sie. »Dein Vater hat ausdrücklich gesagt, dass kein Grund zur Sorge besteht. Nur ein… schwerer Magen-Darm-Infekt, nichts weiter…«
    »Hattest du nicht eben gesagt, sie hätte sich den Magen verdorben?« Ernesto warf der rothaarigen Haushälterin einen nervösen Blick zu. »Nat, was ist hier eigentlich los?«
    Mrs Merrill stöhnte und Ernesto drehte sich zu ihr zurück.
    »Chazza …«, flüsterte sie mit verschwommener Stimme. »Das… das Baby. Wo ist das Baby geblieben? Wie lange war ich fort? Waren es Jahre? Warum kann ich mich nicht erinnern? Ich fühle mich so leer… so – unnütz…«
    »Das ist deine Mom? Was hat sie? Wovon spricht sie?«, flüsterte Liberty Bell erschrocken. Ohne dass Ernesto es gemerkt hatte, war sie an seine Seite getreten.
    »… ich weiß, ich muss – schweigen. Darf nichts sagen«, fuhr Mrs Merrill mit schleppender Stimme fort. »Zazie. Lynette. Macy. Cindy. Arielle. Emily, Charlotte…«
    »Deine Katzen? Was ist mit ihnen, Mom?« Ernestos Stimme war lauter geworden.
    Auch Chazza hatte Katzen erwähnt. Die Katzen seiner Mutter? Die toten Katzen? Die Namen, die seine Mutter eben aufgezählt hatten, waren, wenn er sich nicht irrte, alles Namen von gestorbenen Katzen. Verdammte Siamkatzen. Verdammte, überzüchtete Siamkatzen, die starben wie Fliegen… Kleine graue, zusammengekrümmte und erstarrte Tierkadaver in Pfützen von Erbrochenem. Wie oft war er über sie gestolpert in den vergangenen Jahren? Unzählige Male.
    »Ern, komm später wieder«, bat Natasha in diesem Moment leise. »Ich werde deiner Mom etwas zum Schlafen geben, damit sie sich erholen kann.«
    Natashas Hände zitterten, während sie Ernesto aus dem Zimmer schob. Liberty Bell war bereits zurückgewichen.
    Ernestos Zimmer war so unordentlich und chaotisch wie immer.
    »Ein erkämpftes Privileg«, murmelte er eine Spur verlegen und räumte für Liberty Bell rasch einen Stuhl frei. »Natasha weiß, dass ich komplett durchdrehe, wenn sie an meine Sachen geht. Früher sah mein Zimmer aus wie der Rest des Hauses. Keimfrei. Staubfrei. Wie ein Hotelzimmer… Zum Kotzen …«
    »Fentanyl. Demerol. Morphin. Was ist das?«, sagte Liberty Bell da leise und scheinbar zusammenhanglos, während sie sich auf die Kante des Stuhls niederließ.
    Ernesto drehte sich um. Er hatte nicht richtig zugehört, er wusste von Sally, dass das Chaos in seinem Zimmer jeden unvorbereiteten Besucher erst einmal förmlich erschlug.
    »Was? Was hast du gesagt?«, fragte er jetzt und verstaute ein Buch, eine DVD, eine Motorradzeitschrift und einen Playboy, den Dara vor ein paar Tagen vergessen hatte, wahllos auf einem bereits vollgestopften Regalbrett.
    »Drei Schachteln. Weiß mit bunten Streifen. Diese Frau mit den roten Haaren hat sie mit dem Fuß unter einen Schrank geschoben, während du am Bett deiner Mutter gesessen hast. Sie wollte nicht, dass wir es sehen. Sie hatten Namen. Fantanyl, Demerol, Morphin.«
    Einen Moment war es ganz still.
    »Morphin?«, wiederholte Ernesto dann. Dieses eine Wort war in sein Bewusstsein gedrungen und dort hängen geblieben.
    Liberty Bell nickte. »Was ist das, Ernesto? Warum hat sie die Schachteln vor uns versteckt?«
    Ernesto starrte sie nur an. »Das – ist alles unmöglich«, flüsterte er. »Völlig unmöglich.«
    Liberty Bell wandte sich ab und presste die Hände auf ihr Gesicht und er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie Angst vor seinem

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