Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
Haustür und gleich darauf betrat Mr Franklin das Wohnzimmer.
Seine Frau zuckte zusammen und stand auf. »Basil…? Du – du bist schon da…?«
Basil Franklin runzelte die Stirn. Überrumpelt von so vielen Menschen blieb er einen Moment lang wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Seine Schuhe lagen auf der Schwelle neben ihm – und er stand gerade im Begriff, seine dunklen Socken von den Füßen zu streifen. Seine Arme sanken nach unten, mit letzter Kraft schlüpfte er aus der ersten Socke, griff dann haltsuchend nach dem Türrahmen und stellte den nackten Fuß zurück auf den Boden. Seine Zehen waren ungewöhnlich lang – beinahe wie Finger, dachte Ernesto fröstelnd – und sah schnell weg.
»Ernesto und Mose kennst du ja, Basil. – Und, stell dir vor, dies ist das Mädchen aus dem…«, begann Mrs Franklin.
»Ich weiß, wer das ist«, schnitt ihr Mr Franklin das Wort ab. »Ihr Bild war ja wochenlang in der Zeitung. – Aber jetzt würde ich gerne meine… Ruhe haben, wenn das möglich ist.« Seine Stimme klang leise und angestrengt.
»Natürlich«, erwiderte Mrs Franklin hastig, legte Rubys Zeichnungen zurück in den Karton und schob den Deckel darauf. »Es ist nur… wegen – wegen der kleinen Ruby Kyriacou. Ich… ich wünschte, ich könnte… Ich meine… Wenn ich nur…«
»Nun hör schon auf mit dem Blödsinn«, versetzte Mr Franklin knapp, durchquerte mit starrer Miene den Raum und sank in einen Sessel. Er sah aus, als sei er seit Jadens Tod um mindestens zehn Jahre gealtert. Er war schon Mitte sechzig, das wusste Ernesto, aber in diesem Moment wirkte er noch deutlich älter. Ein uralter, gebrochener Mann. Im Sitzen zerrte er an seiner zweiten Socke. Auf seinen dünnen, unnatürlich langen Zehen wucherten graue, widerspenstige Haare. Wie behaarte schlafende Tiere sahen sie aus.
»Aber …«, setzte Jadens Mutter ein weiteres Mal an. »Wenn ich damals nur…«
»Dich trifft keine Schuld, Pat. Wie oft soll ich dir das noch sagen?«, murmelte Mr Franklin abschließend, schloss die Augen und legte die Beine auf das sich selbst hochklappende Fußteil des Sessels. »Wo ist Otis? Wie ist sein Spiel ausgegangen? Das würde mich interessieren…«
Mrs Franklin begleitete ihren Besuch eilig zur Tür.
»Mein Mann ist sehr verzweifelt, müsst ihr wissen«, sagte sie leise. »Wegen… wegen… Ihr wisst schon…«
Ernesto warf einen letzten Blick zurück. Irgendein Detail, das er eben gesehen hatte, erinnerte ihn an – an etwas… Oder an – jemanden? Aber an wen? Es hatte mit Mr Franklin zu tun. Oder?
Ernesto beschlich ein eigenartiges Gefühl. Nein, nicht Mr Franklin, sondern es erinnerte an…
Verdammt, er kam nicht darauf.
An der Haustür drückte Mrs Franklin ihm den ausgebeulten, hellblauen Karton in die Hand. »Nehmt ihn mit, nehmt ihn in Gottes Namen mit. Natürlich macht das meine Schuld nicht kleiner, aber vielleicht…«
Damit schob sie sie über die Schwelle und schloss leise die Tür hinter ihnen.
19
I ch… ich kann jetzt nicht da reingehen, Ernesto«, sagte Liberty Bell leise, als sie das Milk and Honey erreichten, wo die anderen auf sie warteten. Ihr Blick war auf die hellblaue Kiste geheftet.
Ernesto nickte. »Klar, das verstehe ich.«
Er warf ebenfalls einen Blick auf Rubys Schulsachenkiste aus der sechsten Klasse, den Liberty Bell umklammert hielt. Es hatte angefangen, leicht zu nieseln.
»Wollen wir – vielleicht zu mir gehen und uns die Sachen in Ruhe ansehen?«, schlug er vor. Viel lieber wäre er eigentlich nach Cedars End gefahren, in Salvas gemütliches Haus, in dem Liberty Bell jetzt ein Gastzimmer hatte, aber dort war ausgerechnet heute Nachmittag ein Straßenfest, wie Salvador berichtet hatte.
»Barbecue bis zum Abwinken«, hatte Salvador seufzend erzählt. »Die ganze Straße mit all ihren Desperate Housewives ist auf den Beinen. Gruselig, echt.«
Darum hatte Ernesto das Rampenhaus vorgeschlagen. Denn im Regen hatte es auch keinen Sinn, raus zum Cedar Creek zu fahren oder in den Stadtpark zu gehen.
Liberty Bell nickte, während Mose aus dem Wagen stieg. »Ich gehe dann später mal mit Dara ins Ed’s und sehe zu, dass ich Otis treffe«, versprach er. Er winkte ein letztes Mal und öffnete die Tür ins Milk and Honey, um fast gegen eine Frau zu prallen, die das Café eben verließ. Sie war groß und wahnsinnig gut aussehend und Ernesto überlegte einen Moment, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Dann erinnerte er sich. Das war Mrs Franklins Kollegin Mrs
Weitere Kostenlose Bücher