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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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bei Projektarbeiten entstanden.
    »Dies ist Rubys Karton aus der sechsten Klasse«, erklärte Mrs Franklin leise. Liberty Bell griff bei diesen Worten nach Ernestos Hand. »Dass er so voll ist, liegt daran, dass ich auch ihre Arbeiten aus der vierten und fünften Klasse dazugelegt habe«, fügte Jadens Mutter zerstreut hinzu. »Ich habe, nachdem sie verschwand, alles der Polizei zur Prüfung überlassen und später dann, als die Polizei die Sachen freigab, mit nach Hause genommen, weil für Ruby keiner kam, um die Sachen abzuholen.«
    Jetzt wandte sie sich direkt an Liberty Bell. »Normalerweise nehmen die Eltern am Ende des Schuljahres die Arbeiten ihrer Kinder mit, aber Rubys Werke blieben jedes Jahr übrig. Ich denke, ihre Mutter – hatte wohl zu viel zu tun, um sich darum zu kümmern. Es waren einfach sehr viele Kyriacoukinder.«
    Liberty Bell nickte schwach. »Darf ich …?«, fragte sie bedrückt und deutete auf den abgestoßenen, mitgenommen aussehenden Karton.
    Mrs Franklin nickte traurig. »Ja, schau nur hinein. Wer, wenn nicht du… Obwohl ich immer noch nicht glauben kann, dass das alles wirklich geschehen ist. Dass Ruby damals, fast noch ein Kind, mitten im Wald ein Kind – geboren haben soll… dass du dieses Kind sein sollst…«
    Liberty Bell griff nach dem zuoberst liegenden Bild. Es war eine einfache Buntstiftzeichnung. Ruby K. stand in kindlicher Schrift ganz unten auf dem Papier.
    Liberty Bell schluckte.
    »Bäume. Immer wieder Bäume«, erklärte Mrs Franklin und für Sekunden huschte ein trauriges, verzerrtes Lächeln über ihr Gesicht. »Sie malte gerne Wälder. Schon seit der Vorschulklasse. Sie liebte die Natur.«
    Ernesto nahm ein weiteres Bild aus dem Karton.
    »Und was soll das darstellen?«, fragte er mit gerunzelter Stirn.
    Mrs Franklin beugte sich vor und betrachtete die Zeichnung. »Das – ist eines ihrer Fantasiewesen«, sagte sie dann leise und verknotete ihre zitternden Finger ineinander. »Wenigstens – dachte ich das… damals.«
    Ernesto runzelte die Stirn. »Sieht aus wie ein dünner grauer Mensch mit einem zähnefletschenden Tierkopf«, sagte er kopfschüttelnd. »Ziemlich unheimlich, würde ich sagen. Er hat die Arme ausgestreckt, als wolle er etwas – packen… Wie ein – Werwolf oder so.«
    Einen Moment war es ganz still im Franklin-Wohnzimmer.
    »Und – sieh mal, dieses hier«, sagte Mose dann betroffen und reichte Ernesto ein weiteres Bild. »Wieder so ein – Werwolfbild. Diesmal eins mit nackten Füßen. Hey, jede Fußzehe hat sie gemalt… Mit gekrümmten Krallen…«
    Liberty Bell saß einfach nur da und rührte sich nicht. Ihr Blick hing an der geöffneten Kiste mit Rubys Bildern. Sie hielt sich sehr gerade und atmete ein und aus, ein und aus, ganz wach und still wie ein Tier, das eine Witterung aufnimmt, sich aber dennoch vor dem Kampf fürchtet.
    Ernesto hob den Kopf. »Komisch«, sagte er langsam und wandte sich an seine alte Grundschullehrerin. »Mrs Kyriacou sprach auch über nackte Füße, als wir neulich bei ihr waren. Sie sagte, Ruby habe sich vor nackten Füßen… regelrecht geekelt und eines Tages angefangen, sogar nachts beim Schlafen ihre Schuhe anzulassen. Wissen Sie etwas darüber?«
    Mrs Franklin schaute vor sich hin, sodass Ernesto sich fragte, ob sie ihm überhaupt zugehört hatte. Gerade als er die Frage wiederholen wollte, flüsterte Mrs Franklin beinahe tonlos: »Ja… sie… sie hat darüber gesprochen… Ich – ich habe es einfach nicht verstanden – damals… Ich hatte so viele eigene Sorgen.
    Ernesto wusste von Jaden, dass Mr Franklin seit Jahren Alkoholiker war.
    »Sag’s bitte keinem, Ern«, hatte Jaden gestottert, als das Ungeheuerliche geschehen war und Mr Franklin sturzbetrunken in Jadens Zimmer getorkelt war, einfach so an einem sonnigen Nachmittag vor ein paar Jahren, als Ernesto bei Jaden zu Besuch gewesen war.
    »Versprochen«, hatte Ernesto gemurmelt und beklommen zugesehen, wie Jaden seinen Dad, der früher als Ingenieur in einer angesehenen Firma gearbeitet hatte, behutsam am Arm nahm und fortbrachte.
    »Er ist schon seit ein paar Jahren – so …«, hatte Jaden hinterher erklärt. »Manchmal habe ich das Gefühl, das alles nicht mehr lange auszuhalten.«
    Ja, Ernesto konnte sich vorstellen, dass Mrs Franklin Sorgen hatte. Vor allen Dingen, weil sie so wahnsinnig darauf bedacht war, immer und überall den Schein der heilen, normalen Familie zu wahren.
    Wie telepathisch herbeigedacht, hörten sie genau in diesem Moment die

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