Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
identifiziert.«
»Bitte, Sondra, nicht beim Frühstück!«, murmelte sein Vater kauend. Er aß morgens frisch geschrotetes Müsli mit viel Obst, das Natasha für ihn zubereitete. Dr. Merrill schwor auf gute Ernährung.
»Nein, wirklich, Stan, diese Ms Lyford war wohl jahrelang spurlos verschwunden. Ihre Familie hatte eine hohe Belohnung für ihr Wiederfinden ausgesetzt! Und jetzt das.«
»Ich habe diesen wichtigtuerischen Artikel ebenfalls gelesen, Sondra«, unterbrach Dr. Merrill seine Frau ungeduldig. Ernesto registrierte, dass seine Mutter heute widerstand. Sie blieb beim Thema, obwohl der Tonfall seines Vaters unmissverständlich war. Normalerweise wäre sie gegangen, entweder aus der Tür oder auch einfach nur so, während sie bei ihnen saß. Stattdessen beharrte sie darauf. »Wie kam sie bloß an dieses arme Mädchen?«, fragte sie. »Ich meine, wenn es gar nicht ihre Tochter war? Warum lebten die beiden mitten im Wald zusammen? Hat sie sie aufgezogen?«
Dr. Merrill leerte seine Teetasse. »Darum kümmert sich die Polizei, Liebes. Es ist nicht nötig, dass du dir deinen hübschen Kopf zerbrichst.« Er beugte sich über den Tisch und berührte für einen Moment die Wange seiner Frau. Es hätte eine liebevolle Geste sein können, hätte er nicht ein Wort hinterhergeschoben, das Ernesto bereits aus vielen Diskussionen kannte: »Buckelfett.«
Ernesto schob mit einem Ruck seinen Stuhl zurück. Er hatte genug gehört.
»Ich könnte es dir noch diese Woche wegsaugen, Liebes. Soll Natasha einen Termin für dich ausmachen? Das wäre doch mal was. Es würde den Konturen deines Gesichtes guttun, glaub mir«, fügte sein Vater hinzu, während Ernesto den Raum durchquerte.
»Nein, Chazza ist da. Ich… ich muss mich um ihn kümmern. Er wird einige Konzerte geben. Er braucht mich…«, antwortete seine Mutter leise.
Was sein Vater darauf erwiderte, bekam Ernesto nicht mehr mit.
»Die Geschichte wird jedenfalls immer merkwürdiger«, sagte Salvador gerade. »Die Tote soll aus einer irre reichen Familie stammen, hatte aber wohl mit allen gebrochen.«
»Warum denn das?«, fragte Darayavahush. »Ich meine, warum zog sie es vor, in dieser gruseligen Rattenbruchbude im Wald zu hausen, wenn sie stattdessen ganz feudal in Los Angeles hätte residieren können? Mit allem Komfort. Selbstschließende Klodeckel und so weiter. Ich war mal in einem teuren Hotel in Los Angeles, da hatten sie solche Deckel. Abgefahren, echt!«
»Keine Ahnung«, antwortete Mose achselzuckend und ohne Darayavahushs Klodeckelgeschichte weiter zu beachten.
Ernesto starrte immer noch vor sich hin.
Meine Mom hieß mit Vornamen Annie, hatte Liberty Bell zu ihm gesagt. Und mit Hinternamen Lyford…
Der Name stimmte. Nur nicht die Tatsache, dass sie ihre Mutter gewesen war. Und seine Mom hatte recht, die Frage war wirklich, warum diese Annabelle Lyford und Liberty Bell dort draußen überhaupt zusammen gelebt hatten. Hatte Annie ihr den Namen gegeben? Sie aufgezogen? Und, und diese Tatsache wog Ernestos Meinung nach am schwersten, warum dachte Liberty Bell, Annie Lyford sei ihre Mutter?
»Da drüben kommt übrigens Good-old-Jaden«, informierte Darayavahush die anderen in diesem Augenblick. Er zupfte Ernesto, weil dieser nicht reagierte, die Ohrstöpsel seines iPhones aus den Ohren. »Was hörst du da eigentlich die ganze Zeit, Mr Abwesend?«, fragte er und warf einen Blick auf das kleine Display. »Frank Sinatra? Was willst du denn mit der alten Schmachtbacke?«
Da war Jaden schon heran. Er warf sich zu ihnen ins Gras. »Schicke Bettfrisur, Darayavahush«, sagte er. »Du siehst aus, als hättest du versehentlich in eine Steckdose gegrabscht, als du deinen Wecker ausstellen wolltest. – Aber mal was anderes: Ist das nicht eine abgefahrene Geschichte mit diesem Waldmädchen? Und wird sie nicht immer mysteriöser?«
Ernesto richtete sich mit einem jähen Ruck auf.
»So? Eine abgefahrene Geschichte?«, sagte er böse. »Ich fasse es nicht, Jaden! Wie kannst du dich nur erdreisten, so zu reden? Weißt du überhaupt, was du da angerichtet hast? Hast du den Anflug einer Ahnung, wie es dem Mädchen jetzt geht, nachdem du das alles ins Rollen gebracht hast?«
»He …«, machte Jaden. »Im Grunde habe ich gar nichts getan! Ich meine, ich habe sie nicht mal angerührt! Ronan war es, der sie zuerst gefilmt hat, vergiss das nicht! Und dann wart ihr alle s charf drauf, dorthin zu fahren und sie euch anzugucken! Hast du das etwa vergessen, Mr
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