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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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Katze weg. Dabei drehte sich ihm fast selbst der Magen um. Sein mitternächtlicher Hunger hatte sich jedenfalls in Luft aufgelöst.
    Was für eine beschissene Nacht. Während er zurück in sein Zimmer ging, wanderten seine Gedanken zu Liberty Bell. Wie es ihr wohl in der Zwischenzeit ergangen war? War sie immer noch vollkommen still und stumm? Oder hatte sein Singen etwas bewirkt? Dr. Bolino – und vermutlich ebenso Dr. Oakville, das Ekel, hatten sich seinen Einsatz mit Sicherheit inzwischen auf dem Videoband angesehen: die Sache mit den tanzenden Augenbrauen, sein Gitarrenspiel und seinen Gesang. Okay, es war nichts Weltbewegendes gewesen, aber da waren Liberty Bells Tränen. Er hatte sie erreicht, irgendwie. Wenn es auch nur für einen Moment gewesen war.
    Ernesto drosselte sein Lauftempo, während er um die Ecke der Aberdeen Road joggte und die Georgia Avenue erreichte. Er stoppte vor der Tür zu Tenenbaum’s Famous, an der das aktuelle Titelblatt der Daily News ausgehängt war.
    Wer ist das unbekannte Mädchen aus den Wäldern?, stand da in großen Lettern. Wer kann Hinweise auf ihre Herkunft geben? Daneben prangte eine aktuelle Fotografie von Liberty Bell: geschlossene Augen, zusammengepresste Lippen, ein gespenstig blasses schmales Gesicht, nach hinten gekämmt Haare, das Krankenhausbett.
    Ernesto schluckte. Genau in dem Moment vibrierte das Telefon in seiner Hosentasche. Er zog es heraus und warf einen prüfenden Blick auf das Display. Eine unbekannte Nummer. Wer rief ihn denn schon um diese Zeit an? Es war gerade erst acht.
    »Hallo?«, fragte er misstrauisch, und weil es sein erstes, gesprochenes Wort des Tages war, klang seine Stimme noch etwas belegt. Rasch räusperte er sich.
    »Ernesto? Sind Sie das?«, fragte eine weibliche Stimme, die er auf die Schnelle nicht gleich einordnen konnte.
    »Ja?«
    »Ah, gut, hier spricht Bethany Bolino – Sie erinnern sich?«
    Ernestos Herz begann, schneller zu schlagen. »Ja, natürlich«, sagte er. »Was gibt es denn? Ist – ist etwas passiert? Mit Liberty Bell?«
    Warum, um alles in der Welt, rief ihn die Ärztin in aller Herrgottsfrühe an? In dem Moment entdeckte Ernesto Jaden, der mit seinem Bike die Georgia Avenue hinunterkam. Was war heute früh nur los? Jaden war ein absoluter Langschläfer, ähnlich wie Darayavahush. Außerhalb der Schulzeit bekamen ihn normalerweise keine zehn Pferde vor dem Mittag aus dem Bett.
    »Nein, es ist nichts passiert«, beantwortete Dr. Bolino seine Frage. »Nur, dass wir uns in der Zwischenzeit ein paarmal die Aufnahme deines Überraschungsbesuches hier im Krankenhaus angesehen haben.« Sie machte eine Pause.
    »Und?«, fragte Ernesto eine Spur beklommen und runzelte gleichzeitig die Stirn, weil Jaden ihm Zeichen machte. Er war einen Schlenker gefahren und stand nun ein paar Meter weiter wartend am Straßenrand, einen Fuß noch auf dem Pedal seines Rades, den anderen wippend am Bordstein.
    »Nun, wir sind uns letztlich immer noch nicht ganz einig, was den Umgang mit dem Mädchen betrifft, Dr. Oakville, Dr. Walther und ich, aber…« Wieder machte Dr. Bolino eine Pause.
    »Können wir mal reden?«, fragte Jaden in diesem Moment leise und trat an Ernesto heran. Er roch verschwitzt. Sein Gesicht war rot und seine Augen irgendwie ruhelos. »Ich hätte gerne deinen Rat, Ern. Denn ich habe…«
    Ernesto drehte sich unwillig weg.
    »Es… wäre aber – wichtig«, beharrte der hagere, pickelige, ellenlange Sohn von Mrs Franklin, der guten, alten Miss Peach.
    »Nein, jetzt nicht«, zischte Ernesto und ging ein paar Schritte weiter.
    »Warum ich anrufe«, fuhr Dr. Bolino unterdessen fort, Ernesto presste das kleine Telefon fest an sein Ohr. »Du hast mir doch diese Notiz dagelassen und – ja – ich halte das für eine gute Idee, wenn du sie noch einmal besuchst. Ich glaube, das wäre eine – Chance für Liberty.«
    Ernesto sah sich über die Schulter um. Erleichtert registrierte er, dass Plagegeist Jaden ihm nicht weiter gefolgt war.
    »Wow, ja! Das ist toll. Und wahnsinnig – nett von Ihnen«, sagte er und fühlte sich auf einmal ganz leicht. »Wann – wann könnte ich denn kommen?«
    Sie verabredeten einen Termin am Nachmittag.
    Als Ernesto nach Hause kam, war seine Mutter schon aufgestanden. Sein Vater war ebenfalls noch zu Hause – und mit ihm laute Brahmsklänge. Ernesto wollte gerade anfangen, sich zu wundern, als er sah, dass sie Besuch hatten. Heute Morgen war, wie es aussah, halb Old Town auf den Beinen.
    »Hey Chazza«,

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