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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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Scheinheilig?«
    Sie lief kreuz und quer durch den Wald. Der Tag neigte sich bereits seinem Ende zu. Sie war so müde, so wahnsinnig müde in der letzten Zeit. Was war nur los mit ihr? Warum fühlte sie sich so schrecklich krank? Natürlich, da war – diese Sache. Aber die Sache war nun schon fast Gewohnheit. Er kam, redete, lachte, schmeichelte – und tat diese Dinge. Sonne, nannte er sie – immer noch, dabei war sie keine Sonne. Sie war Nichts. Zerstörtes, gefühlloses Nichts. Am Anfang hatte es sie erstaunt, dass man ins Nichts hineintauchen konnte, wenn die Not groß, am größten war. Sie hatte das ganz bewusst getan. Sich im Nichts verborgen, versteckt. Es war wie ein Wunder gewesen. Sie konnte sich ausschalten, wenn man so wollte. Nichts mehr fühlen, nichts mehr hören, nicht mehr da sein.
    Aber das Gefühl veränderte sich mit der Zeit.
    Sonne, sagte er zu ihr und sie kroch ins Nichts. Ins Nichts, das stärker wurde, von Mal zu Mal.
    Die wirkliche Sonne blendete sie, wenn sie am Boden lag, wieder mal. Und das Nichts wurde kälter und kälter. Es betäubte sie Stück für Stück. Erst minutenweise, dann stundenweise, dann tageweise, dann wochenweise. Ihr Kopf wurde so taub wie der Rest ihres Körpers. Sie hatte Mühe zu laufen, die Arme zu bewegen.
    Aber was war heute passiert? Sie hatte Zahnfleischbluten, wie so oft in der letzten Zeit. Dazu musste sie sich so oft erbrechen, morgens, mittags, abends, sogar nachts. Und ihre Fleischteile, die er Zuckerhüte nannte, mit ihnen stimmte ebenfalls etwas nicht. Sie waren schwer und schmerzempfindlich. Das Taube, das Gefühllose endete bei ihnen.
    Und plötzlich brach der Schmerz los wie ein Orkan. Ein Orkan in ihr drin. Im Nichts. Was, um Himmels willen, konnte das sein? »Mutter, Mutter, Mutter …«, flüsterte sie, aber natürlich kam ihre Mutter nicht. Sie kam nie, kümmerte sich nie, schon gar nicht um sie. Sie sagte höchstens: »Du bist eine Schande. Was ist los mit dir?« Mehr nie.
    Der Schmerz war alles überwältigend. Starb sie? Kam so der Tod? Wie oft hatte sie den Tod herbeigesehnt? Wie wahnsinnig oft?
    Komm, komm… hatte sie gedacht und gedacht und gedacht.
    Kam er jetzt?
    Kam der Tod wie ein Ungeheuer, das einem durch die Eingeweide tobte? Ihre Großmutter war vor ein paar Jahren gestorben. Hatte sie auch diese irrsinnigen Schmerzen aushalten müssen?
    Der Wald war nicht mehr gut, der Bach nicht friedlich, die Vögel nicht von Gott geschaffen, wie die Lehrerin in der Schule behauptete. Der Wald war böse, der Bach nichtssagend, die Vögel gleichgültig. Rauschen, Glucksen, Zwitschern, alles war ein Trugschluss, ein Lügengebilde. Und Gott? Eine Fratze, die sie verhöhnte.
    Die Schmerzen schleuderten ihren Körper hin und her, ihr schwerer, schwabbeliger, verhasster Bauch brannte wie Feuer, eine Macht trieb ihre Beine auseinander. Was war das bloß? Das konnte doch nicht…? Nein, das konnte es nicht sein! Das war unmöglich. Sie wusste, wie so etwas funktionierte. Wenn man… schwanger war, ein Kind erwartete, setzte die Periode aus, man machte einen Schwangerschaftstest, man bekam einen runden, festen Bauch, der mehr und mehr anschwoll. Ihre Mutter und zwei ihrer Schwestern hatten das alles erst vor Kurzem erlebt und sie hatte es aus nächster Nähe mitbekommen. Nein, nein, wenn man schwanger war, dann…
    Weinend brach sie zusammen, während etwas Heißes, Großes, Blutiges zwischen ihren Beinen hervorschoss.
    »Oh…«, weinte sie, rappelte sich auf, aber das Bluten hörte nicht auf. Sie musste innehalten, stehen bleiben, sich gegen den Waldboden pressen, liegen, liegen, liegen, während ihr Körper sich allmählich beruhigte, ausblutete, alles Böse, was da in ihm war, ausspie und schließlich endlich Ruhe gab.
    Keinen Blick warf sie auf den Fleischklumpen, der dort lag und zuckte und sich regte. Laub raschelte.
    Stattdessen fuhr sie herum. War da nicht jemand? Hatte sie ein Knacken gehört wie einen Schritt auf Geäst? Oder hatte sie eher etwas gespürt? Einen Blick hinter ihrem Rücken?
    Kam er? Konnte das sein? Aber es war nicht seine Zeit. Es war Abend jetzt. Er kam im Sonnenschein.
    Nein, da war niemand. Sie musste sich verhört haben. Erschöpft taumelte sie davon.
    Aber dann – als sie aus dem Wald trat, zurück ins Leben, war da doch jemand. Sie stolperte ihm direkt in die Arme. Es war nicht er – Gott sei Dank nicht –, aber sie schrie trotzdem auf, weil es ein Mann war. Ein Mann in der Dunkelheit, der nach Alkohol, Schweiß und

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