Liberty: Roman
auf die Schule. Jarnos Vater ist es egal, aber die Mutter setzt sich in Morogoro in den Bus.
Salomons Klasse hat eine Versammlung der beiden obersten Klassenstufen einberufen. Die indischen Schüler kommen nicht; sie gehen in den Unterricht, sie wollen das Examen, die Abschlussfeier und dann auf zu einem neuen Leben in der westlichen Welt. Fuck Afrika, fuck den Äthiopier und fuck Bob Marley. Jarno befindet sich noch immer in der Gefahrenzone – wenn die Polizei ins Spiel kommt, fliegt er. Aus dem Land. Seine Mutter steht auf.
»Ich bin Jarnos Mutter«, sagt sie. »Guten Tag.«
»Guten Tag«, murmeln die Anwesenden.
»Ich wusste nicht, dass Jarno eine Mutter hat«, sagt Salomon.
»Was ist eine Abschlussfeier?«, beginnt sie. »Hinterher trefft ihr euch zu einer Fete. Das Wichtigste ist doch, dass ihr euer Examen besteht. Versteht ihr, es ist gut, Kameradschaft zu beweisen. Aber was ihr hier tut, ist gegen das Gesetz, und wenn ihr es zum Skandal kommen lasst und das Examen boykottiert, dann werden eure Eltern euch Fragen stellen. Und eure Freunde hier werden Probleme bekommen.« Sie weist mit einer Handbewegung auf Jarno und Salomon. »Ihr werdet ein Fest weniger erleben, aber sie landen möglicherweise im Gefängnis oder werden des Landes verwiesen.« Okay, die Leute murmeln und nicken. Ich schaue auf Jarnos Mutter. Sie beeindruckt mich. Shakila erhebt sich.
»Was sagt ihr? Sollen wir darüber abstimmen? Wer dafür ist, dass wir zum Examen gehen und an der Abschlussfeier teilnehmen, wenn Salomon sein Examen auch bekommt, hebt den Arm.« Niemand hebt einen Arm. Es ist komischer zu protestieren, aber nun ist es auch ein bisschen heikel. »Kommt schon«, fordert Shakila sie auf. »Wir haben unsere Unzufriedenheit bewiesen, und Jarnos Mutter möchte ihren Sohn gern im Land behalten. Außerdem hat die Schule keinen ordentlichen DJ mehr, wenn er verschwindet.« Die Leute grinsen dämlich und strecken die Arme in die Luft. Überwältigende Mehrzahl. Jarno, gerettet von Reggae und Discomusik. Shakila geht auf Jarno zu und sagt: »Deine Mutter ist ziemlich taff.«
Dann geht sie. Sie ist auch taff.
Am Samstagnachmittag sehe ich Juliaz auf dem Fahrrad am Clocktower-Kreisel.
»Juliaz!«, rufe ich. Er hält.
»Ahhh, Christian. Habari sa siku nyingi ?« – wie es mir ergangen ist, seit wir uns zuletzt gesehen haben?
»Gut.«
» Mzee geht es auch gut«, sagt er.
»Sorgst du ordentlich für ihn, wenn er zu Hause ist?«
»Ja«, antwortet Juliaz. »Kein Problem. Die vergangenen beiden Wochen hat er bei der Genossenschaftsbewegung in Moshi gearbeitet, und ich habe sein Mittagessen immer fertig, wenn er nach Hause kommt.« Juliaz lächelt.
»Kommt er jeden Tag zum Essen nach Hause?«
»Ja, jeden Tag warmes Essen.«
»Und pombe ?«, frage ich nach,
»Nein, nein«, wehrt Juliaz ab. » Mzee hat aufgehört, so viel pombe zu trinken, seit er sich mit der guten schwedischen mama angefreundet hat, die allein mit ihren Töchtern ist.«
»Das ist gut«, sage ich, und wir verabschieden uns. Katriina und Vater. Zwei Wochen ist er zu Hause gewesen. Dieses Arschloch. Nicht ein Wort habe ich gehört. Ich hätte am Wochenende zu Hause sein können. Wäre ganz legal mit Marcus in die Stadt gegangen, ohne Probleme. Aber nein, nein – er will von seinem scheißirritierenden Sohn nicht gestört werden. Annemette ist tot, und er und Mutter wurden geschieden. Jonas starb unter mysteriösen Umständen. Und jetzt hat Vater etwas mit der Frau des toten Mannes angefangen. Vielleicht will er sie übernehmen. Es ist wirklich abgefuckt.
Marcus
WARTESAAL
»Die Polizei hat angerufen«, sagt Katriina nervös. »Sie wollen mich morgen auf dem Revier sehen. Du musst mitkommen.«
»Kannst du nicht D’Souza fragen? Ich komme mit dieser Art von Manipulation nicht klar«, sage ich. Kalter Schweiß bricht aus, denn mein Körper hat noch immer Schmerzen nach der Folter.
»Bitte«, sagt Katriina. Die Frau ist hilflos.
»Ja, ich mach’s«, sage ich.
Am nächsten Tag sitzen wir bei dem guten Polizeibeamten im Büro.
»Ist alles in Ordnung mit dem toten Mann? Liegt er in schwedischer Erde?«, fragt er auf Englisch.
»Ja, danke«, sagt Katriina. »Es gab keine Probleme.« Der Mann mustert Katriina.
»Sprechen Sie Swahili?«, fragt er auf Swahili.
»Nur wenig«, antwortet Katriina, ebenfalls auf Swahili. Der Polizist fängt an, in der Stammessprache meiner Vorfahren auf dem Berg zu reden – Kichagga. Ich spreche es nicht gut, aber ich verstehe
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