Licht
Der Rauch stieg in einer exakten, dünnen Säule aus der Zigarette, bis er jählings verwirbelte. Sie lachte und schüttelte den Kopf.
»Schon Langeweile, Ed?«, sagte sie.
Am nächsten Abend saß Bella Cray im Zuschauerraum.
»Christus!«, flüsterte Ed. Er sah sich nach Sandra Shen um. Vergebens; sie musste anderweitig beschäftigt sein. Ed saß fest im grellen Schein der alten Theaterbeleuchtung, im kalten weißen Glitzern von Bella Crays Lächeln. Da saß sie in der ersten Reihe, keine zwei Meter von ihm entfernt, Knie zusammen, Handtasche im Schoß. Die weiße Sekretärinnenbluse hatte in den Achseln kleine Schweißsättel, doch das Rouge auf den Lippen war hell und frisch, und Bella formte etwas mit diesen Lippen, das er nicht richtig ablesen konnte. Ihm fiel ein, was sie gesagt hatte, kurz bevor er ihre Schwester erschossen hatte: »Was soll man machen, Ed? Wir sind nichts weiter als Fische.«
Um sich von ihr loszureißen, stieß er den Kopf ins Aquarium. Als die Welt erlosch, hörte er Bella rufen: »He, Ed! Hals und Beinbruch!«
Als er aufwachte, war sie fort. Sein Kopf war angefüllt mit einem hohen reinen hallenden Laut. Annie Glyph trug ihn in die Dünen, wo sie ihn absetzte. Es war kühl. Der anlandige Wind trug das Geräusch der Brandung heran. Er legte den Kopf in ihren Schoß und hielt ihre Hand. Sie erzählte ihm, er habe wieder Krieg prophezeit, das und Schlimmeres; er verschwieg ihr, dass er Bella Cray unter den Zuschauern gesehen hatte. Er wollte sie nicht beunruhigen. Außerdem hatte er eine zermürbende Stunde im Aquarium hinter sich. Er hatte zugesehen, wie die Sachen seiner toten Mutter in ein Reisigfeuer geworfen wurden, erlebt, wie seine Schwester zu anderen Welten aufbrach, seinem Vater Mittelmäßigkeit und Schwäche vorgehalten hatte und am Ende selbst zu anderen Welten aufgebrochen war: Dann war er über seine Vergangenheit hinausgeführt worden, in einen völlig unbegreiflichen Zustand. Er war fix und fertig.
»Es tut gut, dass du da bist«, sagte er.
»Du solltest damit aufhören, Ed. Es lohnt sich nicht.«
»Glaubst du etwa, man lässt mich? Glaubst du, sie lässt zu, dass ich aufhöre? Jeder, außer dir, will mich umbringen oder benutzen. Möglichst beides.«
Annie lächelte und schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist albern«, sagte sie.
Sie starrte aufs Meer hinaus. Schließlich sagte sie mit einer anderen Stimme. »Ed, willst du nicht manchmal jemanden, der kleiner ist? Sei ehrlich? Jemanden, der hübsch und klein ist, nicht bloß zum Schmusen, nein, überhaupt – als Partner fürs Leben?«
Er drückte ihre riesige Hand.
»Du bist wie ein Fels in der Brandung«, sagte er.
Sie schubste ihn von sich und ging zum Wasser hinunter.
»Jesus, Ed«, rief sie in den Wind. »Du saublöder Twink.«
Ed sah zu, wie sie mit großen Schritten an der Wasserlinie auf und ab ging, große Steine und Treibholzstücke auflas und weit übers Meer schleuderte. Er erhob sich vorsichtig und überließ sie ihren Dämonen.
Der Raumhafen lag verwaist. Alle waren längst zu Hause. Die Nacht war nichts weiter als das Rasseln des Maschendrahtzauns, der Geruch der Flut, eine Stimme, die irgendetwas aus einem Motelkabuff rief. Das Licht der Quecksilberdampflampen verfremdete alles. Leere Hallen, stoßweiser Verkehr. So war es die meisten Nächte. Stundenlang nichts, dann vier Schiffe in zwanzig Minuten – zwei fassförmige Frachter, die aus dem Zentrum kamen; der Tender eines gewaltigen Alcubiere-Schiffes, das wie ein frisch eingefangener Trabant im Parkorbit hing; ein halb selbstständiger Kurzstreckentransporter, der in Geschäften unterwegs war, von denen man besser nichts wusste. Es gab Flammenstöße, so orangerot wie der Haarschopf eines x-beliebigen Neuen Menschen, dann Dunkelheit und kalter Wind bis in den Morgen. Ed hatte keine Lust, Annies Kabuff aufzusuchen, bevor sie nicht schlief. Er wanderte ziellos umher, blieb zwischen den Wartungshallen stehen und blickte an den riesigen Schiffen empor und genoss die Gerüche von gequältem Metall und verbranntem pSi-Treibstoff.
Nach einer Weile bemerkte er eine Gestalt, die eine fahrbare Mülltonne langsam über den Beton in seine Richtung schob. Es war Bella Cray. Seit dem Tod ihrer Schwester saßen ihre Röcke enger. Bella schminkte sich für zwei, kombinierte verschiedene Lidschatten und hatte Lippen, die an aufgepumpte Rosenknospen erinnerten. Das Erste, was man auf sich zukommen sah, waren diese Lippen, ging sie fort, war sie ein
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