Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
Vom Netzwerk:
einziger Hintern. Irgendwo dazwischen befand sich die Handtasche mit den Waffen.
    »He, Ed«, sagte sie, »Guck dir das an!«
    Die Mülltonne war fast so groß wie sie. Hineingepfercht, die langen Beine über den Rand gehängt, waren Tig und Neena Vesicle. In ihre Gesichter stand Verwirrung geschrieben. Sie waren tot. Aus dem Behälter stieg der bittere und hoffnungslose Geruch nach unirdischen Flüssigkeiten. Neenas Augen standen noch offen, sie blickte in den Kefahuchi-Trakt, so wie sie Ed beim Vögeln angeblickt hatte, aber sie lachte nicht atemlos und sagte auch nicht: »Oh, bin ich tief drin bei dir!« Tig Vesicle sah nicht einmal mehr aus wie Tig.
    Bella Cray gluckste.
    »Wie gefällt dir das, Ed?«, sagte sie. »Das wird dir auch passieren. Aber erst passiert es allen, die du kennst.«
    Die langen Beine von Neena Vesicle hingen aus der Mülltonne. Bella Cray, als brauche sie dringend Beschäftigung, stopfte sie wieder hinein. »Wenn man das Miststück nur ein bisschen mehr zusammenstauchen könnte«, sagte sie. Sie lehnte sich über den Rand, bis sie den Boden unter den Füßen verlor, dann gab sie auf. »Die sind tot genauso ungelenk wie lebendig, deine Freunde«, sagte sie. Sie zerrte an Rock und Bluse herum, bis sie wieder ihren alten Sitz hatten. Sie drückte ihr Haar an den Kopf.
    »Tja, Ed«, sagte sie.
    Ed verfolgte ihr Gebaren. Er fror. Er wusste nicht, was er fühlte. Jetzt war Annie an der Reihe, so viel stand fest. Annie war der einzige Mensch, den er noch kannte.
    »Wie wär’s denn mit Cash?«, sagte er.
    Bella zog ein Spitzentaschentuch aus der Handtasche, um sich die Hände abzuwischen. Währenddessen prüfte sie ihr Aussehen in einem goldenen Schminkspiegelchen. »Igitt!«, sagte sie. »Bin ich das?« Schon war der Lippenstift zur Hand. »Ich will dir was sagen, Ed«, sagte sie beim großzügigen Auftragen. »Das hier ist mit Geld nicht zu regeln.«
    Ed schluckte.
    Er warf noch einmal einen Blick in die Tonne. »Das hätte nicht sein müssen«, sagte er. Bella Cray gluckste.
    In dem Moment kam Annie Glyph, die ihren Ärger erfolgreich abgearbeitet hatte, aus dem Dunkel und rief: »Ed?, Ed, wo bist du?« Sie sah ihn dastehen. »Ed, es ist viel zu kalt; du solltest so nicht mehr draußen sein.« Jetzt schien sie den Inhalt der Mülltonne zu gewahren. Sie stierte verstört hinein und dann auf Bella Cray und dann auf Ed; in ihren Zügen dämmerte so etwas wie ein träger, bedächtiger Zorn herauf. Schließlich sagte sie an Bellas Adresse: »Diese Leute haben keine Lobby, sie leben in einem Gehege, sie sind immer die Verlierer. Wer hat Sie befugt, sie auch noch in eine Mülltonne zu stecken?«
    Bella Cray schmunzelte.
    »Wer hat Sie befugt«, äffte sie. Sie starrte interessiert zu Annie empor, die gut doppelt so groß war wie sie, dann widmete sie sich wieder der Schminkarbeit. »Wer ist dieses Pferd?«, fragte sie Ed. »Warte, lass mich raten. Ich wette, du vögelst sie, Ed. Ich wette du vögelst dieses Pferd!«
    »Hören Sie«, sagte Ed. »Ich bin es, den Sie haben wollen.«
    »Du bist ein kluger Kopf, Ed. Wer hätte das gedacht.«
    Bella legte das Schminketui in die Handtasche zurück und machte Anstalten, den Reißverschluss zuzuziehen. Dann schien ihr etwas einzufallen.
    »Wartet«, sagte sie. »Das muss ich euch unbedingt zeigen…«
    Sie hatte die Chambers-Pistole halb herausgezogen, als sich Annie Glyphs Hände um die Waffe schlossen – Hände mit dicken Knöcheln und Schwielen von fünf Jahren an der Rikschagabel. Ed liebte diese klobigen Hände, die ein klein wenig zitterten von dem vielen Café électrique, Hände, die er von dieser Seite noch nicht kennen gelernt hatte. Es gab einen beinah unmerklichen Kampf, dann reichte ihm Annie die Pistole. Er prüfte die Ladung, die einer schwarzen öligen Flüssigkeit ähnelte, in Wirklichkeit aber der von Magnetfeldern gezähmte Albtraum jedes Teilchenjockeys war. Er forschte in der Dunkelheit nach Hinweisen auf bewaffnete Punks, meistens Regenmäntel, Schuhe mit ganz dicken Sohlen, nach jemandem mit einer Nova-Granate oder einem schlimmen Haarschnitt. Annie hatte immer noch eine Hand über die beiden Hände von Bella geklammert: Diesen schlichten Griff benutzte sie, um Bella langsam aber sicher vom Boden zu trennen.
    »Jetzt können wir uns auf gleicher Augenhöhe unterhalten«, sagte sie.
    »Was soll das?«, sagte Bella. »Willst du ins Guinessbuch der Rekorde? Denkst du, das wird nicht bestraft?« Sie erhob ihre Stimme. »He, Ed, glaubt ihr

Weitere Kostenlose Bücher