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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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sein Triebwerk zu zünden, dann fegte es auf die Atmosphäre des Gasriesen zu. Die Gravitation versuchte es zu zermalmen, doch zwischen hier und dort hatte es sich in die Stimme Gottes verwandelt. Der Gasriese fing Feuer, Blitze flackerten über sein Antlitz. Onkel Sip ließ sich mit der White Cat verbinden. Luft entwich aus den geblähten Backen. »Jesses«, sagte er verärgert, »das wär doch alles nicht nötig gewesen. Die Jungs haben mich eine Stange Geld gekostet. Ich hätte schon dafür gesorgt, dass sie dir nichts tun.«
    Seria Maú stellte sich taub.
    »Besser, wir verduften«, sagte sie zur Mathematik und gähnte. »Das ist unser Ziel«, sagte sie und einen Lidschlag später: »Der Blödmann ist mir derart auf den Keks gegangen. Ich war es einfach leid.«
    Als sie das System verließen, wurde hinter ihnen ein neuer Stern geboren.
     
    Seria Maú schlief lange und anfangs traumlos. Dann stellten sich Bilder ein. Sie sah den New Pearl River. Sie sah den Garten, düster und verregnet. Sie sah sich selbst aus großer Entfernung, ganz klein aber deutlich. Sie war dreizehn. Sie wollte sich zu den K-Schiffen melden. Sie sagte Vater und Bruder Lebewohl. Das war die Szene: der Bahnhof von Saulsignon, noch hübsch unter seinem Kriegshimmel, der sich kaum vom Kriegshimmel über dem Europa der Antiken Erde unterschied, blau, turbulent, durchzogen von Kondensstreifen aber voller Zuversicht. Sie sah sich winken, sie sah den Vater die Hand heben. Der Bruder weigerte sich zu winken. Er wollte nicht, dass sie fortging, also weigerte er sich auch, ihr nachzublicken. Die Szene verblasste allmählich. Danach bekam sie sich zum letzten Mal als Mensch zu sehen, flüchtig nur, auf dem Rand eines Bettes sitzend, fröstelnd, sich in eine Plastikschüssel übergebend, während sie versuchte, das Baumwollhemd daran zu hindern, hinten ständig auseinander zu klaffen…
    Wenn du zu den K-Schiffen willst, findest du dich in sterilen weißen, nur mäßig geheizten Räumen wieder; egal, was du anstellst, du frierst. Du musst nüchtern sein, bekommst aber trotzdem Brechmittel verabreicht. Du bekommst eine Spritze. Du wirst getestet. In Wahrheit geht es nur darum, die zwei, drei Tage zu überbrücken, in der die Spritze ihre Wirkung entfaltet. Inzwischen kooperiert dein Kreislauf mit ausgewählten Erregern, künstlichen Parasiten und maßgeschneiderten Enzymen. Du zeitigst Symptome von MS, Lupus vulgaris und Schizophrenie. Du wirst festgeschnallt und bekommst einen Gummiknebel zum Beißen. Jetzt ist der Weg bereitet für die Schattenoperatoren, die auf einem nanomechanischen Substrat im Submikrometerbereich laufen und nicht lange brauchen, um dein Sympathikussystem zu zerlegen. Man macht dir kontinuierlich Einläufe, um den Abraum zu entfernen. Man pumpt dich voll mit einer weißen Paste aus Fabriken im Zehnmikrometerbereich, die exotische Proteine züchten und deine internen Indikatoren überwachen. An vier Stellen der Wirbelsäule wirst du entkernt. Du bist immer bei vollem Bewusstsein, abgesehen von dem kurzen Augenblick, wo man dich mit dem K-Code selbst konfrontiert. Viele Rekruten scheitern an dieser Hürde, auch heute noch. Schaffst du es, sperrt man dich in den Tank. Inzwischen hat man dir fast sämtliche Knochen gebrochen und ein paar von deinen Organen entfernt: Du bist blind und taub und alles, was du gewahrst, ist eine Übelkeit erregende Brandung, die unentwegt durch dich hindurchrollt. Man hat deinen Neokortex gelasert, damit er die Softwarebrücke akzeptiert, die ironischerweise mit Einsteinkreuz (* Einsteinkreuz: Vierfachbild eines astronomischen Objekts, das vom Beobachter aus gesehen weit hinter einem anderen Objekt liegt, dessen Masse nach Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie wie eine Gravitationslinse wirkt.)bezeichnet wird, weil du anfangs, wenn du sie benutzt, ein Kreuz siehst. Jetzt bist du nicht mehr einsam. Bald wirst du imstande sein, Milliarden von Milliarden Bits pro Sekunde zu verarbeiten, und zwar bewusst; nur gehen wirst du nicht mehr können. Du wirst zeitlebens weder lachen noch jemanden berühren oder von jemandem berührt werden, ficken oder gefickt werden können. Du wirst nie mehr etwas aus eigener Kraft tun können. Du wirst nicht einmal mehr nach Gutdünken scheißen können. Du bist rekrutiert. Und es schießt dir durch den Kopf, dass du zwar die Wahl hattest, deine Entscheidung aber endgültig und unwiderruflich ist.
    In ihrem Traum sah Seria Maú sich von oben. Seither hatte sie immer wieder

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