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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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nicht wie wir. Genauso wenig wie Madame Shen.«
    Sie wandte ihre Aufmerksamkeit der Welt zu, die sie umkreisten und die man sehen konnte, wenn man den Hals ein bisschen verrenkte und das Gesicht oben ans Bullauge presste – ein länglicher Buckel, den eine Atmosphäre zierte.
    »Guck dir den Flecken an«, sagte sie. »Planet der Verdammten.«
    Sie hatte Recht. Der Kurs der Perfect Low war für Zirkusverhältnisse so unlukrativ wie unberechenbar. Von Anfang an hatten sie die Geldmetropolen des Halo gemieden - Polo Sport, Anais Anais, Motel Splendido – zugunsten von nächtlichen Landungen auf Agrarplaneten wie Weber II und Perkins’ Rent. Nur wenige Vorstellungen wurden gegeben. Nach einer Weile merkte Ed, wie die Besatzung schrumpfte. Er bekam einfach nicht heraus, was los war. Sandra Shen war keine Hilfe. Manchmal sah er sie weit weg eine Auseinandersetzung zwischen Zirkusleuten schlichten. Bis er sich durchgedrängt hatte, war sie verschwunden. Er klopfte an die Tür des Kontrollraums. Keine Antwort. »Wenn ich nicht auftrete«, sagte er, »warum hast du mich dann so hart rangenommen?« Ed kehrte zu seiner Koje und den schweißtreibenden Rendezvous mit Alice zurück, derweil dunkle Materie mit ihren ausgedünnten Fingern über die Hülle der Perfect Low strich. Nachher sagte Alice verdrossen: »Diese Nacht ist wieder ein ganzer Verein gegangen.« Das Schiff leerte sich allmählich. Bei der nächsten Landung ging auch Alice.
    »Wir kriegen keine Arbeit«, sagte sie. »Wir kriegen keine Shows.« Unter diesen Umständen war es sinnlos zu bleiben. »Von hier krieg ich eine Verbindung zum Zentrum«, sagte sie.
    »Pass auf dich auf«, sagte Ed.
    Am Tag darauf sah er sich um, und der Zirkus war fort: Alice war die Letzte gewesen. War sie seinetwegen geblieben? Wohl eher, weil sie die Ruhe weg hatte, überlegte er. Es war ein weiter Weg bis zum Zentrum.
    Ein Frachtraum war noch voll mit den Exponaten von Madame Shen. Alles andere war fort. Ed stand vor Brian Tate and Michael Kearney Looking Into a Monitor in 1999. In ihrem Ausdruck lag etwas Wildes und Erschrockenes, als hätten sie ihre ganze Kraft darauf verwandt, den Geist aus der Flasche zu locken, und sähen sich nun mit der Frage konfrontiert, wie man ihn je wieder bewegen sollte, dahin zurückzukehren. Ed fröstelte. In den anderen Frachträumen fand er nicht mehr als einen mit Pailletten besetzten Lycra-Body und eine Kindersocke. Die Treppenhäuser rochen immer noch nach Essen, Schweiß und Black Heart. Eds Schritte schienen den Rumpf zu füllen und Echos in den leeren Raum zu schicken.
    Wie jedes Schiff hatte auch die Perfect Low ihre Schattenoperatoren.
    Wie staubige Spinnweben hingen sie in den Ecken; schienen eher verschüchtert und ängstlich als gelangweilt. Einmal oder zweimal, als Ed durch das verwaiste Schiff streifte, da ließen sie los und flohen in Schwärmen mal hierhin mal dorthin, als ob sie verfolgt würden. Sie drängten sich um die Bullaugen, wispernd und einander berührend, dann blickten sie über die Schulter auf Ed, als habe er vor, sie zu verraten. Sie flohen vor ihm, als er den Kontrollraum betrat, und drückten sich flach an die Wände.
    »Hallo?«, rief Ed.
    Seine Stimme weckte die Instrumente.
    Drei Holofenster schlugen die Augen auf, das Dynaflow war nichts sagend und grau. Einen Piloten registrierend boten sich Direktverbindungen an: zu den Treibern, zu den externen Sende- und Empfangsanlagen und zur Tate-Kearney-Mathematik.
    »Kein Bedarf«, sagte Ed.
    Er setzte sich in den Pilotensessel und sah dünne Bänder von Photinos vorüberwehen. Es gab keinen Hinweis auf ein Reiseziel. Keine Spur von Sandra Shen. Am Boden neben dem Sessel entdeckte er das Aquarium, wohl vertraut aber wenig hilfreich, unscharf durch die Rückstände an Erinnerungen, Prophezeiungen und Applaus. Er hütete sich, es zu berühren: Dennoch – es schien zu wissen, dass er da war. In seinem Innern gab es eine Verlagerung. Zugleich spürte er Veränderungen im Dynaflow-Medium. Der Kurs war korrigiert worden. Wie von der Tarantel gestochen sprang er aus dem Sessel.
    Er rief: »Madame Shen? Hallo?«
    Nichts. Im ganzen Schiff bimmelten die Alarmglocken und die Perfect Low trat urplötzlich aus dem Dynaflow, und der Kefahuchi-Trakt füllte alle drei Schirme – wie ein triefendes Auge. Es funkelte aus nächster Nähe.
    »Scheiße«, sagte Ed.
    Er setzte sich wieder in den Pilotensessel. »Direktverbindung!«, befahl er. »Ich will die Kennungen!« Er starrte zu den

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