Licht
Ansprache.
»Wenn die Einheit defekt ist«, sagte Seria Maú, »gibt es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.«
Sie lag noch immer auf den Knien, sie lehnte sich vor und streckte die Arme aus, Handflächen nach oben. Die Schattenoperatoren hoben den roten Karton mit dem grünen Band auf und legten ihn Seria Maú auf Hände und Unterarme, dann stoben sie wie Fische im Aquarium nach allen Seiten davon.
»Dass mich nur ja keiner fragt, ob ich auch weiß, was ich tue«, drohte sie. »Nein, ich habe keinen blassen Schimmer.«
Sie stand vorsichtig auf und ging, die Schleppe zwischen den Babybübchen auffächernd, langsam auf die nächstbeste Wand zu.
Schaum quoll aus der Schachtel.
»Dr. Haends…«, sagte die Einheit.
»Bring uns nach oben«, sagte Seria Maú zur Wand.
Die Wand tat sich auf und badete sie in weißes Licht. Seria Maú Genlicher trug die Einheit in den Navigationsbereich, wo sie das tun wollte, was sie schon die ganze Zeit hätte tun sollen, nämlich die beiden – Einheit und Schiffsmathematik – miteinander bekannt zu machen. Die Schattenoperatoren, plötzlich sehr nachdenklich über diese Entscheidung, folgten ihr so zimperlich wie Brüsseler Spitze. Die Wand schloss sich hinter ihnen.
Der nastische Kommandant sah aus seiner Ecke zu. Er unternahm noch eine letzte Anstrengung, Seria Maú auf sich aufmerksam zu machen.
»Seria Maú Genlicher«, flüsterte er, »du musst unbedingt mal herhören…«
Doch – versunken, isoliert und ein bisschen aus dem Ruder, wie es nur ein Mensch sein kann, der vom Schwindel vorsätzlichen Tuns ergriffen ist – zeigte sie keinerlei Reaktion. Anders die Schattenoperatoren: Sie verscheuchten ihn aus lauter Angst, er könne sich in der Schleppe ihres Kleides verheddern. Denn damit wäre alles verdorben gewesen.
Er hasste das Gefühl von Ohnmacht und Nutzlosigkeit.
Kurz darauf kamen ihm Ereignisse auf seiner eigenen Brücke in die Quere. Onkel Sip, vom Lauf der Dinge verwirrt und mit einem Mal argwöhnisch, ließ ihn restlos eliminieren.
Der Echtzeitspezialtrupp, der bereits unmittelbar nach der Kollision begonnen hatte, sich rücksichtslos durch das nastische Schiff zu kämpfen, stürmte schließlich das Kommando- und Kontrollzentrum und machte gründlichen Gebrauch von seinen tragbaren Gammalasern. Die Wände schmolzen wie Kerzenwachs. Die Computer verendeten. Der nastische Kommandant spürte, wie er verblich. Es war ein Gefühl unwiderstehlicher Müdigkeit, plötzlicher Kälte. Eine Nanosekunde lang hing er in der Schwebe, betört durch den Splitter einer Erinnerung, den winzigkleinen Teil eines Traums. Die papierenen Bauwerke seiner Heimat, ein einschläferndes Summen, eine komplexe Gebärde, die er einmal geliebt hatte: zu flüchtig, um es festzuhalten. Es war schon merkwürdig, dass sein letzter Gedanke nicht diesen Dingen galt, sondern Seria Maú Genlicher, die, an ihr schreckliches Schiff gekettet, nicht aufhören wollte, Mensch zu sein. Dass ausgerechnet er diesen Gedanken dachte, entbehrte nicht einer gewissen Ironie.
Denn schließlich, rief er sich in Erinnerung, war sie der Feind.
Zwei Stunden später und gut tausend Kilometer weiter weg, im blauen Schein der Verlaufsdisplays im Menschenquartier der El Rayo X saß Onkel Sip auf einem dreibeinigen Holzschemel, den er aus dem Motel Splendido mitgenommen hatte, und versuchte zu verstehen, was eigentlich Sache war.
Die Touching the Void war ausgeschaltet. Aus dieser Richtung hatte er nichts mehr zu befürchten. Nichts lebte mehr da unten in der faulen Birne, nichts außer seinen Teufelskerlen. Wie ein gutes Team von Chirurgen hatten sie begonnen, ihn aus dieser versehentlich zustande gekommenen Verpfropfung mit dem nastischen Schiff herauszuoperieren. Es war das reinste Tiefbauprojekt, mit all den dumpfen Erschütterungen und jähen Lichterscheinungen, die so etwas mit sich brachte. Dauernd meldete sich einer von den Jungs und sagte: He, Onk, könntest du hier ein wenig mehr oder da ein bisschen weniger? Sie wetteiferten um seine Aufmerksamkeit. Und die ganze Zeit versuchte sein Schiff sich ganz sachte der Umarmung des Kreuzers zu entziehen. Onkel Sip stellte sich diese Umarmung als weiche, nasse Fäulnis vor, der zu entkommen sein momentan größter Wunsch war. Flimmernde Partikelcluster sickerten durch die Hülle der El Rayo X, entstanden bei der Zerstörung der nastischen Brücke. Da unten war es nach wie vor heiß. Das musste man ihnen lassen, die Jungs schufteten in einer
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