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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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will ich nicht haben. Ich will eins sein.« Sie war ein stilles Kind gewesen, das sich bereits mit seinen inneren Regungen auseinander setzte. »Guck doch. Guck!« Wie ein Kissen wurde sie gepackt und durchgeschüttelt; ein Gefühl durchrieselte sie, dem letztlich alle anderen Gefühle gehorchen würden. Ja, das hatte sie unbedingt haben wollen, damals.
    Jetzt, da sie ihre Meinung geändert hatte, hatte sie Angst, dass es zu spät sein könnte. Onkel Sips Einheit war der blanke Hohn, ein einziges leeres Versprechen. Eine innere Stimme hatte ihr geraten, sie vom Rest des Schiffes zu isolieren.
     
    Der sichtbare Anteil der Einheit lag am Boden eines Kabuffs im Menschenquartier, und zwar in einer flachen, roten, mit grünem Glanzband verschnürten Pappschachtel. Onkel Sip hatte ihr die Einheit auf seine unverkennbare Art überreicht: mit einer Autogrammkarte, auf der Putten, ein Lorbeerkranz und brennende Kerzen zu sehen waren; dazu ein Dutzend langstieliger Rosen. Die Rosen lagen jetzt verstreut auf den Deckplatten, die losen schwarzen Blätter regten sich leise wie unter einem kalten Luftzug.
    Die Schachtel war allerdings der unbedeutendste Teil der Einheit. Alles in ihr war uralt. Aber Onkel Sip hatte es aufgearbeitet, auch wenn weder er noch sonst jemand sagen konnte, welchem Zweck es ursprünglich gedient hatte. Solche Artefakte hatten manchmal eine eigene Identität, mit Erwartungen, die seit einer Million Jahren überholt waren. Sie waren entweder wahnsinnig, kaputt oder gedacht, das Unvorstellbare zu tun. Man hatte sie vergessen, sie hatten ihre ursprünglichen Benutzer überlebt. Jeder Versuch sie zu verstehen gipfelte in einer mehr oder weniger begründeten Vermutung. Männer wie Onkel Sip mochten Softwarebrücken installieren, aber wusste man denn, was auf der anderen Seite lauerte? Es gab einen Code in der Schachtel, und das allein gab schon zu denken: Doch es gab auch ein Nanotech-Substrat, auf dem er laufen sollte. Der Code sollte etwas herstellen. Aber wenn man ihn aufrief, ertönte ein freundlicher Gong. Etwas wie weißer Schaum quoll heraus und ergoss sich über die Rosen und eine sehr ferne weibliche Stimme fragte nach Dr. Haends.
    »Kenne ich nicht«, erklärte Seria Maú gereizt. »Ich kenne keinen Dr. Haends.«
    »Dr. Haends bitte«, wiederholte die Einheit, als gebe es keine Seria Maú.
    »Ich weiß nicht, was du willst«, sagte Seria Maú.
    »Dr. Haends in die Chirurgie!«
    Die Schaumlache wurde immer größer, bis Seria Maú die Software beendete. Hätte sie riechen können, dachte sie, hätte der Schaum stark nach Mandeln und Vanille gerochen. Einen Moment lang erinnerte sie sich an diese Gerüche so deutlich, dass ihr schwindlig wurde. Ihr gesamtes Sensorium schien seine zwanzigjährige Verbindung mit der White Cat zu zerreißen und hilflos im Sog der Finsternis zu kreiseln. Seria Maú ruderte mit allen vieren in ihrem Tank. Sie war blind. Sie hatte zu viele Füße. Sie hatte entsetzliche Angst sich zu verlieren, zu sterben und gar nichts mehr zu sein. Die Schattenoperatoren kamen besorgt zusammen, hefteten sich wie Spinnweben in die Ecken, tuschelten und wisperten, falteten die Hände. »Das wäre erledigt«, erinnerte man einander, »und das muss noch getan werden.«
    »Sie macht nicht viel Arbeit«, sagten sie unisono.
    Der Schrei, mit dem Seria Maú antwortete, konnte unmöglich die ganze Wucht ihres Leids, ihres Selbstekels und ihrer aufgestauten Wut enthalten. Was immer sie ihnen im Parkorbit um Motel Splendido an den Kopf geworfen hatte, sie hatte sich inzwischen eines Besseren besonnen. Seria Maú Genlicher wollte wieder Mensch sein. Wenn sie sich allerdings die Passagiere besah, wollte ihr nicht mehr einfallen, weshalb.
     
    Sie waren zu viert oder fünft. Anfangs waren sie nicht leicht zu zählen gewesen, denn eine der Frauen war der Klon einer anderen. Sie waren mit fast einer Tonne Feldgeneratoren plus Zubehör an Bord gekommen – und das in einem selbstsicheren, entspannten Schlendrian. Die Kleidung sah praktisch aus, bis man sah, wie schlabbrig diese Textilien waren. Die Frauen trugen Bürstenschnitt mit einer Spur von Schaumfestiger als Fanal ihrer Weiblichkeit. Die Männer trugen unaufdringliche Markenlogos, animierte Implantate, als Tribut an die großen Firmen der Vergangenheit. Die White Cat mit ihrem Spuk und ihrer unverhohlen militärischen Provenienz sprach das Kind im Manne an. Keiner von ihnen hatte je zuvor mit einem K-Käpten gesprochen. »Hi«, sagten sie scheu und

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