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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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grinsten.
    »Jetzt wirst du was erleben«, versprachen sie Ed.
    Doch die Empfangsdame schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht hier, um zu spielen«, sagte sie. Sie waren sichtlich bestürzt. »Es ist einfach nur«, sagte sie und sah Ed vielsagend an, »weil ich heute Abend etwas anderes zu erledigen habe.« Sie nickten, als hätten sie verstanden, dann sahen sie beiseite, um die Enttäuschung zu verbergen. »Aber Jungs«, sagte sie, »euren Rum gibt’s auch in der Long Bar, und ihr wisst doch, wie euch die Mädels da gefallen. Was meint ihr?«
    Die Alten zwinkerten und grinsten. Da könne sie Recht haben, räumten sie ein und zogen im Gänsemarsch aus der Tür.
    »Na klar doch, ihr alten Böcke!«, rief ihnen die Empfangsdame hinterher.
    »Ich komme nach«, rief Ed. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, hier mit ihr allein zu sein.
    »Sie bleiben«, riet sie ihm leise. »Falls Sie wissen, was gut für Sie ist.«
     
    Die alten Männer waren kaum fort, da schien der Raum dunkler zu werden. Ed starrte die Empfangsdame an und sie ihn. Hier und da ein schwaches Glimmen im Aquarium unter ihrem Arm. Sie drückte ihr Haar an. »Was für Musik hören Sie?«, sagte sie. Ed gab keine Antwort. »Ich höre viel Oort Country«, sagte sie, »was Sie nicht überraschen dürfte. (* Nach dem niederländischen Astronomen Jan Hendrik Oort benannte Region jenseits von Pluto, wo Milliarden kleiner Körper um die Sonne kreisen.) Besonders die späten Lieder.« Wieder standen sie schweigend da. Ed sah beiseite, tat so, als mustere er das alte kaputte Mobiliar der Bar, die Jalousien. Eine Brise wehte von den Dünen herauf, befingerte wie ein Blinder die Gegenstände im Raum.
    Nach ein, zwei Minuten sagte die Empfangsdame leise: »Wenn Sie sie sprechen wollen, sie ist jetzt hier.«
    Ed sträubten sich die Nackenhaare. Er hielt den Blick hartnäckig abgewandt.
    »Alles, was ich brauche, ist ein Job«, sagte er.
    »Und den haben wir für Sie«, sagte eine andere Stimme.
    Von irgendwo außerhalb seines Blickwinkels ergoss sich ein Strom aus winzigen Lichtern in den Raum. Er konnte sich denken, woher sie kamen. Allerdings war damit nichts gewonnen: Ein solches Eingeständnis konnte alles versauen. Ich habe viel erlebt, sagte Ed sich, aber die Schattenoperatoren sollen sich aus meinem Leben heraushalten. Die Empfangsdame hatte das Aquarium auf den Boden gesetzt. Aus Nase, Mund und Augen ergoss sich ein weißer Funkenregen. Etwas zwang Eds Kopf herum, sodass er wohl oder übel Zeuge dieses Ereignisses wurde: verleih ihm Realität, indem du es anerkennst. Die Lichtpunkte waren wie Schaum und Diamantsplitter. Sie machten eine Art Musik, als höre sich so der Algorithmus selbst an. Im Nu war da keine Empfangsdame mehr, nur noch der Operator, der sie hatte laufen lassen und nun eifrig zugange war, an der kleinen Orientalin zu basteln, die Ed auf der Yulgrave Street erschossen hatte. Es galt das Jeanskostüm gegen ein geschlitztes Cheongsam zu tauschen, den schleppenden Oort-Country-Akzent gegen martialisch gezupfte Augenbrauen und das zarteste Verschlucken der Konsonanten. Als die Metamorphose abgeschlossen war, wetterleuchtete ihr Gesicht, erst sah es alt aus, dann jung, dann wieder alt. Befremdend dann vollkommen. Sie hatte das Charisma eines unwirklichen, nichtmenschlichen Wesens, ein Charisma mächtiger als Sexappeal, auch wenn man es so empfand.
    »Hier ist alles total versaut«, murmelte Ed. »Zum Glück kann ich einfach abhauen.«
    Sandra Shen lächelte zu ihm auf.
    »Ich fürchte, das geht nicht, Ed«, sagte sie. »Wir sind nicht in einem Tanksalon. Hier draußen hat alles seine Konsequenzen. Wollen Sie den Job oder nicht?« Ehe er antworten konnte, fuhr sie fort: »Wenn nicht, möchte Bella Cray mit Ihnen reden.«
    »He, das ist eine Drohung.«
    Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Ed blickte zu ihr hinunter und versuchte herauszufinden, welche Farbe ihre Augen hatten. Sie belächelte seine Ängstlichkeit.
    »Ich möchte Ihnen etwas über Sie erzählen, Ed«, schlug sie vor.
    »Oha. Jetzt mal im Ernst. Wie können Sie so viel über mich wissen, wenn Sie mich noch nie gesehen haben?« Er grinste. »Ich frage mich die ganze Zeit«, sagte er und versuchte einen Blick an ihr vorbei auf das am Boden stehende Terminal zu werfen, »was in diesem Aquarium ist.«
    »Der Reihe nach. Ed, ich verrate Ihnen ein Geheimnis über sich. Sie langweilen sich ziemlich schnell.«
    Ed pustete seine Finger, als habe er sich verbrannt.
    »Potztausend«, sagte er.

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