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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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heruntergebracht, aber es sollte dauern, bis ich irgendwohin konnte. Wir hingen da in der Dünung des Lichts. Selbst das Schiff schien eingeschüchtert. Ich konnte mich nicht überwinden, in das Wurmloch zu fliegen. Ein Wurmloch ist ein Lotteriespiel. Das macht man nur einmal in seinem Leben, da bin ich keine Ausnahme. Schließlich gelang es mir, mit Hilfe der stehenden Gravitationswelle und der nicht ganz so zuverlässigen Anisotropie (* Anisotropie = Richtungsabhängigkeit.) des gesamten Universums meine ungefähre Position zu bestimmen. Dann kehrte ich per Dynaflow im großen Bogen zurück. Da ich völlig pleite war, griff ich mir ein paar von den Sachen, die ich mitgebracht hatte, und schwätzte sie anderen auf. Ein Fehler. Mir war klar, dass ich nun die ganze Milchstraße auf den Fersen hatte. Also ging ich auf Tauchstation.«
    »Aber Sie haben ihn wiedergefunden, diesen Trabanten«, sagte Seria Maú. Sie vergaß zu atmen.
    »Ja«, sagte er.
    »Dann bringen Sie mich hin, Billy Anker. Bringen Sie mich zu dem Trabanten!«
    Er sah auf seine Hände hinab; nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Man könnte uns folgen«, sagte er, »und das darf nicht sein.« Er hob die Hand, um ihr zuvorzukommen. »Aber das ist nicht der Grund. Oh, ich würde Sie trotzdem hinbringen, weil ich merke, wie viel Ihnen diese Einheit bedeutet. Unter uns gesagt, wir würden die Verfolger schon abhängen…«
    »Warum bringen Sie mich dann nicht hin?«
    »Weil das kein Ort für uns ist, für keinen von uns.«
    Seria Maú führte ihr Double beiseite und durch ein Bullauge nach Nirgendwo. Billy Anker war verdutzt. Als er ihre Stimme das nächste Mal hörte, war es die Stimme der White Cat. Sie schien von allen Seiten zu kommen. »Ich durchschaue Sie, Billy Anker«, sagte sie und ließ ein paar missbilligende Laute hören. »Das ganze Gerede von wegen den Strand verlassen und zu viel Angst haben vor dem Schwimmen.«
    Erst wirkte er verärgert, dann störrisch. »Das ist kein Ort für Menschen«, beharrte er.
    »Ich bin kein Mensch!«
    Er lächelte. Sein Gesicht hellte sich auf und legte die Jahre ab und sie merkte, dass er niemand anders als er selbst war.
    »O doch«, sagte er, »das bist du.«

 
21
     
Krieg
     
    Ed Chianese setzte seine Ausbildung zum Seher fort.
    Madame Shen arbeitete gerne im Observatorium, vorzugsweise mitten unter den Historienbildern. Sie hatte eine Vorliebe für Brian Tate and Michael Kearney Looking Into a Computer Monitor, 1999. Ed, genervt von den festgefahrenen Blicken und dubiosen Mienen der beiden vorsintflutlichen Wissenschaftler, hielt sich lieber im Hauptbüro auf oder in der Bar vom Dunes Motel.
    Seine Lehrmeisterin blieb unberechenbar. Manchmal kam sie als sie selbst; manchmal als die Empfangsdame mit den Dolly-Parton-Titten und dem Oort-Country-Akzent; manchmal als übellauniger Hermaphrodit namens Harryette, der, um die Rosinen seiner kleinen Brüste zu betonen, schwarze Trikothemden trug und dazu eine farbige Polyurethan-Strumpfhose, die sich im Schritt beängstigend wölbte. Manchmal kam sie erst gar nicht und Ed konnte wieder zu den Alten gehen und weiterwürfeln. (Obwohl er jetzt regelmäßig verlor. Wer versucht, in die Zukunft zu blicken, der verwirkt sein Glück, meinten die Männer und strichen gackernd sein Geld ein.) Als was sie auch kam, Sandra Shen war klein. Sie trug kurze Röcke und rauchte die einheimischen Zigaretten aus Tabak und Fledermausdung, ovaler Querschnitt, beißender Rauch. Er gab sich Mühe, in ihr einen Menschen zu sehen: bekam keine Gelegenheit, sie besser kennen zu lernen. Sie war nicht mehr jung, so viel stand fest. »Ich bin müde, Ed«, klagte sie nicht selten. »Ich habe das schon zu lange gemacht.« Was, sagte sie nicht, doch er glaubte zu wissen, dass sie den Zirkus von Pathet Lao meinte.
    Ihre Gemütsverfassung war so unberechenbar wie ihre Erscheinung. An einem Tag, hocherfreut über seine Fortschritte, versprach sie ihm eine eigene Show: »Eine Show im Hauptzelt, Ed. Eine richtige Show.« Am Tag darauf schüttelte sie den Kopf, warf ihre Zigarette weg und sagte mit professioneller Empörung: »Ein Kind sieht besser in die Zukunft als du. Das ist unzumutbar.«
    Eines Nachmittags in den Dünen sagte sie: »Weißt du, was dein Pech ist, Ed? Du bist wirklich ein Hellseher.«
    Sie hatten schon eine Stunde gearbeitet, und Ed saß wie ein Häufchen Elend in der Ecke, so müde, dass ihm war, als müsse er jeden Moment durch den Boden hindurchrutschen. Um zu

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