Licht (Gone) (German Edition)

unterscheiden zu können.
    »Ich kann sie nicht zählen. Sie sind verschwommen.«
    »Du bist kurzsichtig.« Diana musste lachen. »Das gibt’s ja nicht. Ein Kind des Teufels und kurzsichtig. Du brauchst eine Brille!«
    Gaia schien kein Problem damit zu haben, ein ›Kind des Teufels‹ zu sein, doch bei dem Wort ›kurzsichtig‹ runzelte sie die Stirn. »Soll das heißen, du siehst besser als ich?«
    Diana zuckte mit den Schultern. »Soviel ich weiß, hat das mit der Form deines Augapfels zu tun. Aber so sind Körper nun mal: unvollkommen. Außerdem wächst du mit völlig abnormaler Geschwindigkeit. Wer weiß, was das mit deinem Körper macht.«
    Das brachte Diana auf die Frage, ob Gaia den Wachstumsprozess steuern konnte. Sie war davon ausgegangen, dass der Gaiaphage sie so schnell wachsen ließ. Doch jetzt dachte sie, dass es vielleicht an der FAYZ lag und nur eine weitere ihrer grotesken Auswirkungen war.
    Außerdem war ihr immer noch nicht ganz klar, was Gaia wusste und was nicht. Als Gaiaphage hatte sie ihr ganzes Leben, falls man es überhaupt so nennen konnte, in einem Minenschacht verbracht. Sie konnte sprechen, die Worte kamen ihraber nicht wie selbstverständlich über die Lippen. Sie wusste viel, jedoch längst nicht alles. Ihr Wissen war lückenhaft. Wie das einer Ausländerin, die in dem ihr fremden Land erst allmählich zurechtkam.
    Die Erklärung, die Diana am naheliegendsten schien, war die, dass sich Gaia ihr Wissen von all jenen angeeignet hatte, in deren Verstand sie eingedrungen war. Die sie kontrolliert oder zumindest gelegentlich berührt hatte. Dazu gehörte zum Beispiel ihr eigener Verstand. Und Lanas. Sogar Caines.
    Sie erinnerte sich an die Zeit, als Caine dem Gaiaphage entkommen und wirres Zeug redend, völlig paranoid und todkrank zurückgekehrt war. Sie hatte ihn damals gesund gepflegt. War das der Grund, warum er sie nie hintergangen hatte?
    Aus Dankbarkeit? Caine?
    »Du brauchst größere Sachen zum Anziehen«, sagte Diana. »In dem Tempo bist du bald geheilt und siehst dann auch nicht mehr so, verzeih den Ausdruck, zum Kotzen aus. Und du wirst dich … äh … entwickeln.«
    »Entwickeln?« Gaia schien sich nicht sicher, ob sie das als Vorteil oder als Gefahr betrachten sollte.
    »Egal. Für diese Unterhaltung bin ich so was von nicht bereit. Jedenfalls: Auf einer dieser Inseln da draußen gibt es Essen.«
    »Wie kommen wir auf die Insel?«
    »Tja, je nachdem …«
    »Je nach was?«
    »Welche Fähigkeiten du hast. Welche Kräfte. Ich hab gesehen, wie du deinen Va… wie du Caine angegriffen hast. Duhast ihn mit deinen Gedanken bewegt. Ist das alles, was du draufhast? Telekinese? Wie Caine?«
    »Ich habe Zugriff auf alle Kräfte, Diana. Die Fähigkeit, Dinge mit meinem Verstand zu bewegen. Schnelligkeit. Ich kann die Schwerkraft aufheben. Ich habe tödliches Licht. Ich kann heilen.«
    »Dann kannst du auch hüpfen wie Taylor. Du könntest dich auf die Insel teleportieren, für uns beide Essen besorgen und im nächsten Moment wieder hier sein.«
    Gaia sah sie neugierig an. »Wer ist Taylor?«
    Diana runzelte die Stirn. »Du kennst sie nicht?« Ist ja interessant, dachte sie. »Taylor kann sich überallhin beamen. Sie denkt an einen Ort, und zack ist sie dort.«
    Über Gaias Gesicht huschte ein Schatten. Es war ihr offenbar peinlich, auf ihre Grenzen hingewiesen zu werden.
    Vielleicht kann ich das ausnutzen.
    Wieso? Bist du ihre Mutter oder ihre Feindin?
    Oder beides?
    Gaia schloss die Augen und blieb regungslos stehen. Mit konzentrierter Miene, als suchte sie etwas. Schließlich sagte sie: »Diese Taylor, von der du sprichst, existiert nicht mehr als das, was sie einmal war. Ich erreiche ihre Kraft nicht.«
    Es dauerte ein paar Sekunden, doch dann ging Diana ein Licht auf. »Du hast in Wirklichkeit kaum eigene Kräfte. Du kannst sie nur benutzen. Ich meine die Kräfte der Mutanten. Deshalb fehlt dir Pennys Kraft. Weil sie tot ist. Taylor auch?«
    »Die Mutationen, die diese Kräfte bewirken, sind körperlich, das ist richtig. Aber die Kräfte reichen über diese Körperhinaus, in einen Raum, auf den ich Zugriff habe.« Sie sprach so herablassend, als unterhielte sie sich mit einem Kind. Dabei war sie ja das Kind. »Das verstehst du nicht.«
    Diana stockte der Atem, denn sie verstand es sehr wohl. »Deshalb durfte Drake Caine nicht töten. Deshalb ist er abgehauen. Du kannst Caine, Sam und Brianna noch nicht töten, denn wenn du das tust, verlierst du ihre Kräfte.«
    Gaia sah sie