Licht über den Klippen
Stimme: »Dann geh jetzt und tanze.«
Der Wind erfasste die Asche und brachte sie tatsächlich zum Tanzen.
Einen kurzen Moment lang waren wir zu dritt auf dem von der Sonne erhellten
Hügel, bis eine nach oben gerichtete Luftströmung die Asche in westliche
Richtung, hinaus auf die endlose Weite des blau glitzernden Meeres, wirbelte.
FÜNF
I ch glaube, ich hab
einen Schwips«, sagte ich, im Windschatten des alten Steintischs auf dem Boden
sitzend, zu Mark und sah meinen Pappbecher an. »Wie heißt dieses Zeug noch
mal?«
»Scrumpy.«
»Hm, Scrumpy.« In Zukunft würde ich einen weiten Bogen um diese
spezielle Sorte Apfelwein machen, so viel stand fest. »Den Rest kannst du haben.«
Er leerte die Flasche in seinen Becher, lehnte sich zurück, stützte
die Ellbogen auf den Steintisch und blickte den Hügel hinunter zum Meer. Genau
wie ich schien er es nicht eilig zu haben, diesen Ort zu verlassen.
Als hätte er meine Gedanken erraten, fragte er: »Wie lange wirst du
hierbleiben?«
»Ich habe keine Eile.« Weit draußen über der See flog eine weiße
Möwe. »Job und Wohnung habe ich aufgegeben. Ich fühle mich in L. A. nicht mehr
zu Hause, seit …« Ich zuckte mit den Schultern. »Als Bill mir die Asche gegeben
hat, war ich gezwungen nachzudenken, wo ich sie verstreuen soll. Das hat mich dazu
gebracht zu überlegen, wo ich hingehöre, jetzt, da Katrina nicht mehr ist. Ich habe Freunde in L. A., aber
keine Menschen, auf die ich mich wirklich verlassen könnte. Und meine Wohnung
war … okay … aber …«
»Kein Zuhause?«
»Genau. Ich spiele mit dem Gedanken, hier was zu mieten, vielleicht
ein kleines Cottage.«
»Den Sommer über ist alles ausgebucht.« Als Mark meine Enttäuschung
sah, fügte er hinzu: »Aber im Herbst findest du ohne Probleme was, und bis
dahin kannst du bei uns bleiben.«
»Mark, ich will euch nicht zur Last fallen.«
»Du fällst uns nicht zur Last. Wir haben genug Platz. Du warst doch
als Kind auch immer in Trelowarth.«
»Dann will ich euch wenigstens etwas dafür geben.«
»Vergiss es.«
»Ich habe Geld, Mark, mehr, als ich brauche. Ich kann mich nicht bei
euch einnisten und von euch verköstigen lassen, wenn …« Mir fiel gerade noch
ein, dass ich offiziell nichts über die finanziellen Probleme in Trelowarth
wusste.
»Wenn was?«
»Nichts.«
Kurzes Schweigen.
»Was hat Susan dir erzählt?«
»Nichts.«
Ich war nie eine gute Lügnerin gewesen und wusste das auch, doch er
hakte nicht nach.
»Von Freunden nehmen wir nichts.«
Ich versuchte es mit einer anderen Strategie. »Dann lasst mich in
Naturalien zahlen. Ich kann Susan bei ihrem Teestubenprojekt helfen.«
»Bloß nicht.«
»Hast du dir ihre Pläne angeschaut?«
»Glaubst du, sie hätte mir eine Wahl gelassen?«
»Mir gefallen sie«, stellte ich fest.
»Tatsächlich?«
»Ja. Es scheint alles gut durchdacht zu sein.«
»Bestimmt.« Er verzog den Mund. »Das hat sie von unserer Mutter. Dad
hatte die Ideen, und Mum sorgte dafür, dass sie in die Tat umgesetzt wurden.«
Mark war beim Tod seiner Mutter elf gewesen, Susan noch ein Baby,
und ich war gerade in den Kindergarten gekommen. Meine Erinnerungen reichten
nur bis zu seiner Stiefmutter Claire zurück, die ich so gern mochte, dass ich
mir nie Gedanken über ihre Vorgängerin gemacht hatte.
»Mein Dad hatte nach Mums Tod völlig die Orientierung verloren. Gott
sei Dank ist er Claire begegnet, die ihn wieder auf Kurs gebracht hat. Sie ist
ganz anders, als meine Mutter es war.«
»Eine Künstlerin.«
»Ja. Wie deine Schwester. Schon als wir noch Teenager waren, vor
ihrer Schauspielkarriere, hatte Katrina eine künstlerische Ader wie Claire.
Kreative Menschen brauchen Raum, um ihre Flügel auszubreiten. Wie
Schmetterlinge.« Er blinzelte auf das glitzernde Meer in Richtung Westen, wohin
der Wind Katrinas Asche geweht hatte. »Hast du schon mal versucht, einen
Schmetterling festzuhalten? Das geht nicht. Egal, wie vorsichtig du bist: Wenn
du ihn berührst, verletzt du seine Flügel, und er kann nicht mehr richtig
fliegen. Man muss ihn in Ruhe lassen.«
»Hast du deshalb aufgehört, Katrina zu schreiben?«
»Sie hatte besonders große Flügel«, antwortete er. »Und brauchte
Raum dafür. Den hätte sie hier nicht gehabt, oder? Am Ende hat sie ihr Glück ja
gefunden und ihren Mann kennengelernt. Sie schienen glücklich miteinander zu
sein.«
»Ja.«
»Dann ist es gut.«
Wieder Schweigen. Vielleicht wären wir den ganzen Nachmittag dort
sitzen geblieben,
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