Licht über den Klippen
Leinwand
trocknenden Farbe, der in Terpentin einweichenden Pinsel und des Kaffees, der
irgendwo in einer großen Tasse kalt wurde, weil sie ihn wie immer beim Malen
vergessen hatte.
Ihre Bilder, hauptsächlich Landschaften, gefielen mir, denn sie
hatten etwas Phantastisches. Die Weihnachtskarten, die sie meinen Eltern und
mir jedes Jahr geschickt hatte, waren nach Vorlagen von ihr gedruckt worden und
noch lange nach den Feiertagen auf unserem Kaminsims geblieben. Wo sie wohl
jetzt lagerten? Nach dem Tod meiner Eltern waren so viele der kleinen
Bindeglieder zur Vergangenheit verschwunden.
Claire, die gerade einen Sonnenuntergang malte, sagte: »Schön, dass
du Oliver getroffen hast.«
»Fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt.«
»Ja, er hat sich verändert. Aber im Innern ist er noch derselbe
Oliver wie früher. Wo wart ihr zum Essen?«
»In der Teestube am Hafen. Felicity hat recht: Die Frau dort kann
keine Scones backen. Sie ist keine Konkurrenz für Susan.« Nach kurzem Schweigen
fuhr ich fort: »Tante Claire?«
»Ja, Liebes?«
»Gibst du mir eine ehrliche Antwort, wenn ich dich etwas frage?«
Sie hörte auf zu malen. »Natürlich.«
»Wie viel Geld brauchen Mark und Susan, um Trelowarth nicht zu
verlieren?«
Claire legte blinzelnd den Pinsel weg. »Woher weißt du das?«
»Das darf ich nicht verraten.«
Claire steckte den Pinsel in ein Glas mit Terpentin und wischte sich
die Hände ab. Dann erklärte sie mir, wie die Rücklagen weniger und die Steuern
höher geworden waren. »Noch ist Mark nicht hoch verschuldet«, versicherte sie
mir. »Doch wenn es ihm nicht gelingt, das Ruder herumzureißen, wird es nächstes
Jahr um diese Zeit kritisch.«
»Ich würde Mark und Susan gern helfen«, sagte ich.
»Das tust du doch schon.«
»Wirklich helfen. Finanziell. Ich weiß, dass Mark nie Geld von mir
nehmen würde, aber es ist ja nicht das meine, sondern das von Katrina. Sie
würde nicht tatenlos mitansehen, wie Trelowarth in ernste Schwierigkeiten
gerät. Wenn ich ein Treuhandvermögen einrichte, könnten Mark und Susan, falls
nötig, darauf zurückgreifen. Außerdem hätten sie die Gewissheit, dass der Fonds
auch noch für ihre Kinder und Enkel da wäre.«
Ich wartete auf Claires Reaktion.
Claire musterte mich ziemlich lange schweigend, bevor sie sagte:
»Ich finde, das wäre ein sehr schönes Vermächtnis. Es würde Katrina sicher
freuen, wenn sie davon wüsste. Wie kann ich dir dabei helfen?«
Während wir uns darüber unterhielten, gingen wir in die Küche.
Claire setzte den Wasserkessel auf, und als sie die Wedgwood-Kanne mit Tee
füllte, war unser Plan fertig.
»Morgen habe ich einen Termin bei Mr Rowe von der Bank in Polgelly«,
erklärte ich. »Der wird alles für mich organisieren.«
»Dann musst du dich für den Weg stärken. Wie wär’s mit Keksen? Ich
habe welche mit Kokosnuss oder mit Schokolade.«
Als sie die Keksdose auf den Tisch stellte, schüttelte ich den Kopf.
»Ich müsste den Hügel zehnmal am Tag rauf und runter laufen, wenn ich die
esse.«
»Unsinn. Du bist sowieso zu dünn.«
»In Kalifornien gibt es kein ›zu dünn‹.«
Claires Blick verriet, was sie von Kalifornien und der dortigen Mode
hielt. Sie reichte mir wortlos die Dose. Ich nahm eine Kokosmakrone und teilte
sie mit Samson, der mich schwanzwedelnd anbettelte. Er ließ sich neben meinem
Stuhl nieder, als ich Claire fragte: »Hast du dir das Gewächshaus schon
angeschaut?«
»Nein.«
»Sie haben es frisch gestrichen. Es ist schön geworden.« Beim Tee
erzählte ich von Felicitys und Susans Werk.
Ich fühlte mich wohl in Claires Küche, was weniger an der
Einrichtung als an Claire selbst lag. Sie sorgte in allen Räumen, in denen sie
sich aufhielt, für Behaglichkeit.
Vielleicht spürte ich deshalb bei ihr die Anwesenheit meiner
Schwester. Sehr viel Phantasie war nicht nötig, um mir Katrina auf dem leeren
Stuhl am anderen Ende des Tischs vorzustellen, das Kinn in eine Hand gestützt,
wie immer, wenn sie einem Gespräch lauschte.
Als Claire und ich mit dem Tee ins Wohnzimmer gingen, glaubte ich zu
fühlen, dass Katrina uns begleitete und sich neben mich aufs Sofa kuschelte.
Später brachte Claire mir Kissen und Decke und meinte, ich sehe müde aus. Ich
wehrte mich nicht und streckte mich aus, nach wie vor mit dem Gefühl, Katrina
sei bei mir.
Als ich aufwachte, war sie verschwunden.
Ich hatte viel länger geschlafen als beabsichtigt. Es war Morgen,
und in der Küche roch es nach Toast. Claire hatte mir einen
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