Licht und Dunkelheit
Aura, ein eindeutiges Energiemuster, das sie wahrnahm. So konnte sie die Männer der Garde von denen Lord Blourreds unterscheiden.
Leise führte sie Sita aus dem Hauptstall, ging an der Mauer entlang, bis sie den seitlichen Ausgang erreichte. Sie nickte Lord Blourreds Wachen kurz zu, und sie gaben den Weg frei.
Hinter der Mauer sprang sie auf Sitas Rücken, deren Sattel und Zaumzeug sie im Stall gelassen hatte, da sie ihr heute die Freiheit schenken wollte. Für einen Moment fühlte sie sich beobachtet. Sie sandte ihre Sinne aus, konnte aber nichts feststellen. Die Männer der Garde waren noch immer da, wo sie sein sollten.
Die Stute griff freudig zum Wald hin aus, ihre Ohren spielten und sie schlug mit dem Schweif. Als sich der Wald in eine weite Ebene öffnete, lehnte sich Levarda nach vorn und krallte ihre Hände in Sitas Mähne. Mehr bedurfte es zwischen ihr und dem Tier nicht. Wie ein Pfeil schoss die Stute los. Der Wind pfiff Levarda durchs Gesicht, ihre Haare flatterten und sie stieß einen Schrei vor lauter Übermut und Lebensfreude aus. Dann schloss sie die Augen, ließ sich vom Gefühl der Freiheit tragen, bis sie den Rausch des Glücks in ihren Adern fühlte. Erst dann parierte sie Sita durch. Sie hatten bereits den Wald mit der Weggabelung erreicht. Rechts ging es tiefer in das Land von Lord Blourred. Links führte der Pfad nach Mintra – für Menschen, die Erlaubnis erhielten, es zu betreten. Wer sie nicht hatte, irrte umher, unfähig, seinen Weg zu finden, obwohl der Asambra weithin sichtbar den Mittelpunkt des Landes markierte.
Sie klopfte Sita den Hals, verschloss das Gefühl von Glück und Zufriedenheit tief in ihrem Herzen. Dann glitt Levarda vom Pferd, lehnte ihre Stirn an die der Stute.
Es war Zeit, Abschied zu nehmen, den letzten Faden, der sie an ihr altes Leben band, zu durchtrennen. In der Sprache ihres Volkes flüsterte sie: »Geh mein Mädchen, geh zurück nach Hause, suche die Weiden am Fuße von Asambra und sei frei – für uns beide.« Tränen liefen ihr über die Wangen.
Sie scheuchte Sita von sich. Die Stute zögerte. Ein letzter Blick, dann drehte sie sich abrupt auf der Hinterhand und jagte über den Pfad Richtung Heimat. Ihre Hufe donnerten auf dem Weg, als sie davonstob.
Levarda sah ihr nach und merkte erst nach einer Weile, als Sitas donnerndes Hufgeräusch sich entfernte, dass ein anderer Hufschlag immer lauter wurde. Sie sah sich um und sah einen Reiter auf sich zukommen. Zu spät, sich in den Büschen zu verbergen. Sie entschied sich, auf dem Weg stehenzubleiben.
Erst kurz vor ihr parierte er seinen Hengst durch und sprang ab. »Unglückseliges Weib!«, fuhr er sie an. »Was habt Ihr getan?«
Er packte Levarda am Arm, die völlig überrumpelt von seinem Ausbruch vergaß, sich zu wehren. Die Zeit reichte ihr nicht, um einen Schutzschild gegen den Zorn aufzubauen, der ihr entgegenflammte. Die ungezügelte, wilde Kraft, die aus ihm herausströmte, traf geballt auf ihre eigene, und gegenseitig entluden sich die Energien wie in einer Explosion.
Er ist ein Kind des Feuers, dachte sie noch. Dann verlor sie das Bewusstsein.
Das Erste, was sie spürte, als ihr Geist langsam aus der Dunkelheit zurückkehrte, war die Kraft der Energien ihres eigenen und seines Feuers. Levarda fühlte in ihrem Nacken und in den Kniekehlen, wie seine Flammen in sie eindrangen. Sie musste die Zufuhr unterbrechen, sonst würde es zu einer weiteren unkontrollierten Entladung kommen. Sie konzentrierte sich auf die Quelle in ihrem Innern, aktivierte sie und führte ihre Wasserkräfte zuerst an ihre Kniekehlen und den Nacken. Aber erst mit der Kraft der Erde gelang es ihr, einen Schutzwall an diesen Stellen aufzubauen, der die Energiezufuhr unterbrach. Sie begann, die sich umschlingenden Feuerenergien, die weiter durch ihren Körper tobten, zu kanalisieren.
Noch nie hatte sie von so etwas gehört oder etwas dergleichen erlebt. Da sie keine Möglichkeit sah, die Kräfte zu trennen, bannte sie diese in ihrem tiefsten Inneren und versiegelte die Pforte mit Wasser. Das musste genügen, bis sie in ihren Gemächern die Kraft in einen Energiestein ableiten konnte.
Sie spürte warmen Atem und weiche Lippen an ihrer Wange. Erschrocken riss sie die Augen auf und sah die aufgeblähten Nüstern von Umbra vor sich.
»Umbra, lass das«, zischte Lord Otis. Er hielt Levarda in seinen Armen, eine Hand in ihrem Nacken, die andere in ihren Kniekehlen. Er konnte den neugierigen Hengst nicht von ihr
Weitere Kostenlose Bücher