Licht vom anderen Ufer
aber, die so ein Völkermorden vom Zaun gerissen hatten, wuschen sich, sofern sie gesiegt hatten, die Hände in Unschuld wie Pilatus und gingen zur Tagesordnung über.
Ich muss ja die Blechtafel noch befestigen, fiel Anna auf einmal ein und sie suchte Hammer und Nägel.
»Herr und Heiland, sei meiner Seele gnädig«, sprach sie dabei, als sie den ersten Nagel einschlug, dicht neben dem alten Loch, damit die Tafel nicht gleich wieder locker würde. Und der Heiland sah auf ihr Tun herunter, so als sei er mit allem einverstanden, was sie in den letzten Tagen getan hatte.
Als sie aufblickte, sah sie die Truppe, die vorher bei ihr gewesen war, auf dem Kamm dahinziehen. Sie war auf dem Weg zur nächsten Alm. Sie gingen hintereinander und trugen die Gewehre schussbereit unterm Arm.
Sie schauderte, als sie daran dachte, dass sie jetzt Oliver in ihrer Mitte führen könnte, wenn sie ihn nicht gleich an Ort und Stelle erschossen hätten. Diesem aalglatten Hauptsturmführer wäre das ohne weiteres zuzutrauen gewesen. Gottlob, Oliver war in Sicherheit, und eigentlich brauchte sie nicht so unruhig zu sein.
Und doch war sie es. Und diese Unruhe stieg drängend aus ihrem Herzen herauf, erfasste ihren Verstand, und beides miteinander verknüpfte sich zu einer so brennenden Sehnsucht, wie sie sie nie in ihrem Leben vorher gespürt hatte.
Ja, auf einmal waren sie wieder da, diese namenlose Sehnsucht, die Ungeduld des Herzens, die Verworrenheit der Gedanken, die sich nicht zusammenbringen lassen wollten und ihr Zweifel aufbürdeten, ob sie recht oder unrecht getan hatte. War es denn zu verantworten, dass sie diesem Menschen solche Opfer brachte und tausend Ängste um ihn litt? Hatte er nicht mit seinem Flugzeug Tod und Verderben über die große Stadt gebracht? Wenn sie ihn in diesem Licht betrachtete, begann ihr Bild von ihm zu schwanken. Seine Augen waren dann nicht mehr von diesem zärtlichen Blau, sondern verdunkelt in einem dumpfen Hass, und sein schöner Mund hatte allen zärtlichen Schwung verloren und war voll verbissener Härte.
Diese Gedanken müsste sie mit aller Willenskraft festhalten, dann ließe sich vielleicht die Gefahr bannen, die sie auf sich zukommen fühlte, ganz zwangsläufig und wie ein Naturgesetz. Der Glanz, in dem sie ihn sah, verlosch dabei, und ohne dass sie es eigentlich wollte, stieg der Wunsch in ihr auf, dass er nicht mehr kommen möge, dass die Burgl ihn zurückhielte oder dass er den Weg über die Berge nähme auf Nimmerwiedersehen.
Der Tag begann zu dämmern. Im Westen hatte der Himmel sich aufgelockert und die sinkende Sonne warf ihr Licht in die abziehenden Wolken, dass es aussah, als zögen sie hinter sich ein rotes Tuch her.
Anna rief die Kühe aus dem Grund, und als sie mit ihrer Arbeit fertig war, lag die Dämmerung schon über allen Dingen und hoch am Himmel stand der schmale Frühlingsmond. Es war so still ringsum, dass man das Rauschen der Riss hier oben auf der Alm hören konnte und ebenso den dünnen Schlag der Turmuhr, die immer nur die Viertelstunden schlug, weil zum Schlag der ganzen Stunden die größere Glocke fehlte. In der aufsteigenden Nacht verklang der Vögel Abendlied, nur in der dürren Wetterföhre am Steig oben klagte noch ein Kauz.
Wie schnell doch eines Menschen Wunschbild zusammenfallen kann. Als die Nacht kam, erwachte in Anna wieder allgewaltig die Sehnsucht nach Oliver. Sie hielt es einfach nicht mehr aus und selbst auf die Gefahr hin, dass es wie Nachlaufen aussehen könnte, kleidete sie sich um und wollte über den Berg in den Hexenwinkel zur Burgl gehen.
Sie kam aber nicht weit. Beim Brunnen draußen stieß sie bereits auf die Burgl. Ihr Herz krampfte sich zusammen, weil die Alte allein war.
»Wo ist Oliver?«
Die Alte kicherte, fasste das Mädchen am Schultertuch und flüsterte: »Er ist schon da, dein Oliver. Hab ihn bloß warten lassen, hinter dem Buschen dort oben, weil ich erst hab wissen wollen, ob die Luft bei dir rein ist.«
»Gott sei Dank«, sagte Anna und es war wie Jubel in ihrer Stimme. »Ich hab schon gemeint – «
»Was hast gemeint? Ich brächte ihn dir nicht mehr? Was tat denn ich mit dem blutjungen Buben! Ja, wenn ich noch jünger wäre, wer weiß, ob ich ihn dann noch fortgelassen hätte. Aber nur keine Angst, er gehört schon dir. Oder meinst du, ich weiß nicht, wie es in dir ausschaut? Mir kannst du nichts vormachen. Dazu hat er mich zu viel nach dir gefragt. Alles hat er wissen wollen.«
Ohne eine Antwort zu geben, begann Anna,
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