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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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Freundlichkeit hinüber.
    »Im Heuboden droben ist ein recht merkwürdiges Loch ausgegraben?«, fragte er. »Gerade groß genug, dass ein Mann sich darinnen verstecken könnte. Wo kommt denn das her?«
    »Wo das herkommt? Das stammt vom letzten Herbst noch. Wir hatten evakuierte Kinder hier und – sie werden vielleicht gespielt haben.«
    Die Hand mit dem Totenkopfring senkte sich wieder auf das Notizbüchlein nieder.
    »Aha. Und die Adresse der Kinder?«
    »Die Adresse? Wie soll ich denn die wissen? Ich kann mich höchstens noch an ein paar Vornamen erinnern.«
    »Aber sie waren aus München?«
    »Nein, aus Nürnberg«, log Anna schnell.
    Draußen wurden jetzt die Stimmen der anderen wieder vernehmbar und das kalte, spitze Klirren der Halbrundeisen der Soldatenstiefel. Einer kam herein und meldete zackig: »Nichts gefunden, Herr Hauptsturmführer.«
    Der Hauptsturmführer schob Notizbuch und Bleistift ein. Anna atmete schon auf, als er noch mal ganz nahe auf sie zutrat.
    »Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie die geringste Wahrnehmung sofort zu melden haben.«
    »Ja«, sagte Anna mit gedrosselter Stimme und zwang sich zu einem Lächeln, das aber in der nächsten Sekunde wie zu Eis erstarrte, als der Hauptsturmführer den Wachtmeister Federl zu sich rief und ihm andeutete, dass er es für gut finden würde, wenn man diese Alm hier als Kommandostelle für die Fahndung einrichte.
    Was den Federl bewog, den Hauptsturmführer von diesem Vorhaben abzubringen, war nicht ganz ersichtlich. Die Gründe, die er dafür vorbrachte, waren einigermaßen plausibel. Man hatte kein Telefon hier, auch mit der Verpflegung hapere es und außerdem gehörten ja die Soldaten, die an der Fahndung teilnehmen mussten, einer Genesungskompanie an und standen zum Teil noch in ärztlicher Behandlung.
    Der Hauptsturmführer runzelte ärgerlich die Stirn, vielleicht deswegen, weil ihm überhaupt widersprochen wurde. Schließlich gab er aber doch nach und der Trupp zog den Hang hinauf zur nächsten Alm.
    Als Anna wieder allein war, saß sie eine ganze Weile still da, die Arme über der Brust verschränkt. Sie wusste, dass soeben eine große Gefahr an ihr vorübergegangen war. Es war so ähnlich wie früher, als sie noch ein Kind war und das Fürchten zu Ende ging, wenn der letzte Donnerschlag eines Gewitters durchs Tal gegangen war.
    Es hatte schon am Morgen aufgehört zu regnen, die Berge lagen in klarer Luft und man konnte wieder ins Dorf hinuntersehen. Man hörte sogar, weil Westwind ging, einige Geräusche aus dem Dorf, den Hammerschlag der Schmiede, das helle Singen des Sägegatters vom Sägewerk.
    Eigentlich sollte Anna sich von ganzem Herzen freuen, weil diese Gefahr so glücklich an ihr vorübergegangen war. Oliver Pratt war zunächst in Sicherheit, denn es war kaum anzunehmen, dass sie noch mal kommen würden. Ihr ganzes Leben lang wollte sie der Burgl dankbar sein.
    Ein ganzes Leben lang? Einmal würde der Krieg doch zu Ende sein. Oliver würde in seine Heimat zurückkehren und Thomas Staffner heimkommen.
    Oliver Pratt! Immerzu musste sie an ihn denken. Seine Zärtlichkeit gestern, so scheu sie auch gewesen war, hatte sie zutiefst berührt und aufgewühlt. Wer weiß, wie alles gekommen wäre, hätte nicht die Burgl ihren Schritt draußen hören lassen.
    Es war unvorstellbar, dass er ein Feind sein sollte. Er war so blond und blauäugig wie sie und er sprach ihre Sprache. Er hätte genauso gut in Blockstein geboren sein können. Dann wären sie miteinander zur Schule gegangen und sie brauchte nicht diese Angst um ihn auszustehen.
    Du meine Güte, wohin verirrten sich ihre Gedanken! Als ob Oliver – der dann wahrscheinlich Peter hieße oder Michael – nicht jetzt auch Soldat wäre! Ein Soldat mit einer anderen Uniform freilich. Aber jede Uniform war nur äußere Hülle, ob sie grau war, khakibraun oder aus dem himmelblauen Tuch der Flieger, dahinter steckte immer ein Mensch mit Gefühlen, mit einem guten oder einem bösen Herzen, der den Auftrag zu töten hatte, wie alle Soldaten der Welt.
    Eine merkwürdige Welt, grausame Jahre eines solchen Krieges. Hinterher gingen die gleichen Männer wieder hinter dem Pflug her oder führten ein Geschäft und gaben peinlich darauf acht, dass ihr Fuß keinen Wurm zertrete, der sich über die Straße schlängelte. Sie traten einem Tierschutzverein bei und waren voller Empörung, wenn einem Hund ein Leid geschah, weil in normalen Zeiten ein Hund mehr wert war als ein Menschenleben im Krieg. Die

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