Licht vom anderen Ufer
mich allein zurücklassen?«
Diese bange Frage führte ihm wieder vor Augen, wie viel er ihr bedeutete. »Ich werde wiederkommen, Anna. Ich liebe dich doch.«
»Das meinst du jetzt und sagst es, weil du ein guter Mensch bist und mir nicht wehtun willst. Aber ich weiß es, Oliver, wenn du von hier fortgehst und erst wieder in deinem Land drüben bist, dann wirst du mich vergessen.«
»Das glaubst du doch selber nicht, Engel.«
»Vielleicht wirst du die Erinnerung an mich nicht ganz auslöschen. Ich bin überzeugt, dass du oft von mir sprechen wirst, von dem Mädchen in den Bergen, das dich aufgenommen hat, als du schwer verletzt warst. Vielleicht wirst du in fröhlicher Runde das Glas heben und auf das Mädchen trinken, das dir so fern ist. Und dann wirst du deinen Arm um ein anderes Mädchen legen und wirst ihr auch versichern, dass du noch keine so geliebt hast wie sie.«
Er riss sie an sich und seine Küsse fielen auf sie nieder. »Wenn ich dir nur diese dummen Gedanken aus deinem Kopf nehmen könnte. Manchmal denke ich, du kennst mich sehr schlecht.«
»O nein, Oliver, ich sehe mitten in dein Herz.«
»Dann musst du auch sehen, wie dankbar ich dir bin. Ich bin dir doch zutiefst verpflichtet.«
»Du bist mir gar nicht verpflichtet, Oliver. Ich habe alles so tun müssen, wie ich es getan habe, weil – jetzt weiß ich es ganz genau – weil ich dich von der ersten Sekunde an geliebt habe. Von der ersten Sekunde an habe ich um dich Angst gehabt, und zwar auch Angst vor der Trennung, die kommen wird.«
»Ich kann jetzt überhaupt nicht sagen, was kommen wird. Eins steht fest, dass ich mich melden muss, wenn meine Landsleute kommen.«
»Ja, aber doch nicht gleich.«
»Was hilft’s, wenn ich es hinausschiebe. Es wäre jeder Tag doch nur eine Galgenfrist mit einer neuen Qual.«
Anna dachte eine Weile recht angestrengt über seine Worte nach. Dann sagte sie resigniert: »Ich hatte vergessen, dass man für alles bezahlen muss, was man gewinnt. Ich werde mit meiner Sehnsucht bezahlen, das weiß ich, und mit Sehnsucht bezahlt es sich schwer. Ich hätte doch nie geglaubt, dass einmal ein Mensch kommen könnte, der imstande wäre, mein Leben so zu verwandeln, wie du es getan hast. Jetzt weiß ich erst, was Glück ist.«
Ihr Geständnis erschütterte ihn so tief, dass er nichts antworten konnte. Aber er horchte in sich hinein, ob auch er sie so sehr liebte.
Ihre Arme hatten seinen Nacken umschlungen. Der Wind wurde stärker und rauschte über dem Dach der Hütte, und wenn er manchmal etwas aussetzte, dann hörte man ihn über die Baumkronen fortgehen, die Hügel hinunter, mit einem traurigen verlassenen Ton, vergleichbar mit der Monotonie, mit der das Wasser in den Brunnen trog rann.
»Jetzt müssen wir nach deiner Wunde sehen«, sagte Anna. Oliver zog das Hemd über den Kopf. Vorsichtig zog sie den Verband weg und betrachtete die Wunde, die sich bereits merklich zusammengezogen hatte. Er hielt ganz still unter ihren Händen, mit denen sie neue Salbe auflegte und alles wieder sauber verband.
»Danke«, sagte Oliver und schlüpfte wieder ins Hemd. So ganz konnte er den Arm noch nicht bewegen. Wenn er ihn hob, hatte er heftige Schmerzen.
Anna nahm eine zweite Lampe und zündete sie an, um Oliver hinaufzuleuchten in den Heuboden, weil er es abgelehnt hatte, weiter in ihrem Bett zu schlafen.
»Was mir gerade noch einfällt«, sagte sie und schraubte den Docht etwas niedriger, bis die Flamme ganz ruhig brannte. »Was machst du nun mit dem Splitter, den ich dir gegeben habe?«
»Ich werde ihn immer bei mir tragen«, versprach er.
»Das werde ich auch tun. Und zwar an einer Silberkette um den Hals.«
Wie ihre Gedanken doch eigenwillig allem vorauseilten. Er hatte nämlich an einen Ring gedacht. Aber nun konnte er ihn vielleicht auch um den Hals tragen. Man müsste ihn nur in Silber fassen lassen oder in Gold. Der Juwelier würde vielleicht mitleidig lächeln über so viel Verschwendung, die an einen so simplen, kleinen Splitter verwendet wurde, von denen Millionen herumgesurrt waren und die Millionen den Tod gebracht hatten.
»Komm, Oliver.«
Sie ging ihm voran bis zur Leiter und hob die Lampe. Er setzte den Fuß auf die erste Sprosse, und als er so hoch über ihr stand, blieb er ganz still und suchte nach einem Wort, das alles ausdrücken könnte, was er für sie empfand, was sie ihm an Liebe und Glück schenkte. Sie hatte die Lampe hochgehoben und die kleine Flamme spiegelte sich in ihren Augen wider. Die
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