Licht vom anderen Ufer
sich auf den Busch zuzubewegen. Sie sah in der Dunkelheit nicht viel, aber mit dem Instinkt eines Menschen, der sich in seinem Ziel nicht irrt, fand sie den Weg.
»Komm«, sagte sie nur und fasste ihn bei der Hand.
Und nun blühten noch ein paar wunderschöne Tage auffürdie beiden, dass sie Raum und Zeit darüber vergaßen und ihnen zumute war, als seien nur mehr sie beide ganz allein auf der Welt. Sie sagten einander, dass sie sich liebten, und doch stand vor ihrem Glück die große, graue Schattenwand, die den Blick in die Zukunft verhinderte. Das Mädchen wusste, dass die Trennung jederzeit notwendig sein konnte und Oliver fühlte sich nie ganz frei, weil er ständig auf dem Sprung war, fliehen zu müssen. Da aber die Tage vergingen, ohne dass irgendetwas geschah, wurde Anna immer sicherer und verlor ihre Angst. Sie umsorgte den Mann, sie verwöhnte ihn, und alles, was sie tat, war eine Handreichung an die Liebe. In ihrem Gesicht war jetzt zuweilen ein so glückliches Lächeln, dass Oliver sie ganz hingerissen betrachtete. Dann wieder rannte sie plötzlich hinaus und horchte ins Dorf hinunter, ob der Lärm des Krieges nicht schon näher käme. Dann aber gingen ihre Gedanken wieder den wunderlichen Irrweg einer erstmals wirklich Liebenden, weil sie sich, wie einem schönen Wiegenlied der Meinung hingab, wenn dieser Krieg zu Ende sei, brauchte Oliver sich nicht mehr zu verstecken. Dann dürfte sie frei und ungehindert mit ihm hinaustreten in die Sonne, sie dürfe ihn für sich behalten, weil ihn die letzte Phase des Krieges in ihre Hände gespielt habe. Sie malte sich aus, dass Oliver dann Ende Mai mit ihr auf die Hochalm ziehen würde und sie gemeinsam den Sommer verlebten.
Mit ihm, wie er es einmal ansprach, nach Amerika zu gehen, dazu verspürte sie weniger Lust. Er hatte ihr so viel erzählt von seinen Eltern, von seiner Schwester, von der Konservenfabrik, die er einmal übernehmen sollte, dass sie es sich einfach nicht vorstellen konnte, in diese ihr so fremde Welt hineingestellt zu werden.
Nein, besser wäre es schon, Oliver bliebe hier. Sie ließ nichts unversucht, ihm das Leben in den Bergen auszuschmücken, und zeichnete alles in so wunderschönen Farben, dass er darin nur eine Fata Morgana sehen konnte, denn er sah die Dinge doch ein wenig anders, sah sie mit den realistischen Augen eines Soldaten, für den der Krieg erst aus war, wenn dieses Land von seinen Leuten restlos besetzt war und die Kanonen schwiegen. Aber wann war das?
Sie wussten beide nicht, wie nahe dieser Zeitpunkt schon herangerückt war.
Eines Abends, als sie wieder so beisammensaßen, war ihnen gleich schwer ums Herz. Es lag in der Luft, dass der Krieg seinem Ende zuging. Die Bomberströme hatten aufgehört, man hörte nicht das Poltern des tausendfachen Bombentodes auf die ferne Stadt. Nur blitzschnelle Jäger durchfurchten das Blau des Himmels, stießen manchmal herab und ließen die Bordwaffen spielen.
Sie hatten die Fensterläden dicht geschlossen. Es war behaglich warm in der Stube, aber sehr still. So still, dass man eine Maus im hintersten Winkel rascheln hörte. Zuweilen seufzte Anna tief auf. Oliver neigte sich ihr zu und legte den Arm um ihre Schultern.
»Ist dir denn so schwer ums Herz, Engel?«
»Wundert dich das, Oliver?«
»Eigentlich ja. Wir sollten doch beide froh sein, dass das Ende kommt.«
»Das Ende?«, fragte sie mit schmerzlich zusammengezogenen Brauen. »Für uns zwei das Ende, wo es kaum begonnen hat.«
»Ich meine doch das Ende des Krieges. Vor einer Stunde warst du noch so optimistisch, so voller Pläne.«
»In unserer Lage ändert es sich alle Stunden, Oliver.«
Er schüttelte den Kopf. »Eins wird immer gleich bleiben, Anna. Ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast. Und darum wollen wir beide froh sein, wenn der Krieg bald sein Ende nimmt.«
Anna ließ den Kopf tief sinken. »Ja, man müsste froh sein. Aber so wie es im Augenblick ist, muss man immer noch in der Angst leben, dass im letzten Moment noch
etwas passiert, dass sie durch einen dummen Zufall herauskriegen, dass du hier bist, und dann…«
Seine eine Hand wühlte sich zärtlich in ihr Haar, mit der anderen hob er ihr Kinn etwas an.
»Mit diesem dummen Zufall wollen wir nicht mehr rechnen, Anna. Bis jetzt ist alles gut gegangen und es wird weiterhin gut gehen.«
Sie sah ihn mit einem schmerzlichen Lächeln an. Die ganze Not ihres Herzens brannte in ihren Augen.
»Sag mir eins, Oliver: Wirst du dann fortgehen – und
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