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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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der kantige Splitter, den sie wie auch Oliver behalten wollte. Sie versuchte ihn mit den Fingern auseinanderzubrechen, damit jeder einen Teil davon haben könnte. Es gelang ihr aber nicht. Erst mit Beißzange und Hammer konnte sie ihn teilen. Nun waren es zwei Stücke, jedes fast gleich groß und doch nicht größer als der Nagel eines kleinen Fingers.
     
    Und sie kamen.
    Um halb neun Uhr früh waren sie bereits da, eine Gruppe von der Wehrmacht, der Polizeiwachtmeister Federl und drei Mann vom SD. Der Federl spielte die unbedeutendste Rolle und es hatte den Anschein, dass er nur mitgenommen worden war, weil er sich in der Gegend auskannte.
    Die Burgl hatte Recht, dass sie den Flüchtigen unweigerlich gefunden hätten, wenn er noch in der Hütte gewesen wäre. Sie hatten lange Sonden bei sich, Abhörgeräte und andere Apparate. Sie hätten eine Maus aufgespürt, falls sie sich im Heustock verborgen gehalten hätte. Es gab keinen Gegenstand in der Hütte und im Stall, den sie sich nicht genauestens unter die Lupe genommen hätten. Eine geschlagene Stunde dauerte die Durchsuchung, dann schickte der eine, der der Anführer zu sein schien, die Männer mit dem Befehl fort, die Umgebung der Hütte genauestens abzusuchen. Er selber nahm ganz gemütlich am Tisch Platz und verschränkte die Beine übereinander. Es musste ein Offizier sein. Ein jüngerer Mensch mit einer grässlichen Narbe auf der Stirn, aber von betonter Freundlichkeit, wenn er es für angebracht hielt. Ja, er fragte sogar höflich, ob es gestattet sei zu rauchen, und weil Anna um diese Selbstverständlichkeit bisher noch von niemandem gefragt worden war, geriet sie in die Versuchung, ihn für einen gutmütigen Menschen zu halten, vor dem man keine Angst zu haben brauchte. Aber der Schein trog, denn schon bei seiner ersten, ganz allein an sie gerichteten Frage erschrak sie heftig. Er fragte nicht etwa: »Haben Sie nichts gesehen?«, sondern er fragte direkt:
    »Um welche Zeit war er also bei Ihnen?«
    Anna merkte, wie die Ader an ihrem Hals ein paarmal heftig klopfte. Dann riss sie sich zusammen.
    »Wer soll bei mir gewesen sein?«
    Die Augen des Offiziers wurden schmal wie Schießscharten. Beim tiefen Zug an seiner Zigarette wurden seine Wangen noch schmaler und zeigten tiefe Falten.
    »Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass Leugnen wenig Sinn hat. Noch weniger steht es Ihnen an, die Unwissende zu spielen. Oder wollen Sie behaupten, dass Sie gar nicht wissen, wen wir suchen?«
    Anna lehnte sich gegen den Herd, weil sie einen Halt brauchte. Ihre Hände umklammerten die Herdstange, dass die Knöchel weiß hervortraten.
    »Doch, das weiß ich zufällig. Einen Flieger, der abgesprungen sein soll.«
    »Nicht soll, sondern er ist tatsächlich abgesprungen. Von wem wissen Sie es eigentlich?«
    »Von meinem Vater.«
    »Wann war der hier?«
    »Gestern Nachmittag.«
    »Und sonst war niemand hier?«
    »Doch, der Schleicher.«
    »Schleicher? Wer ist das?«
    »Man nennt ihn so im Dorf. Loferer heißt er.«
    Der Offizier schrieb in sein Notizbuch. An seinem Finger glänzte ein silberner Ring mit einem Totenkopf. Dann sah er Anna plötzlich wieder aus schmalen Augen an.
    »Wer war denn noch hier?«
    »Sonst niemand.«
    »Sehen Sie, nun lügen Sie bereits. Es war doch auch der Polizeiwachtmeister Federl mit einem Dutzend Volkssturmmännern da.«
    »Ach ja. Das war gleich am ersten Tag«, erinnerte sich Anna.
    »Also, nur immer schön bei den Tatsachen bleiben. Und die Wahrheit sagen. Oh, entschuldigen Sie, ich habe ganz vergessen, Sie darauf hinzuweisen, was Sie zu erwarten haben, falls Sie die Unwahrheit sagen. Drei Jahre Zuchthaus mindestens. Wahrscheinlich, in diesem besonderen Fall aber mehr. Im Übrigen könnte ich mir ganz gut vorstellen – eine junge, recht passable Sennerin, die Einsamkeit hier und ein Feindflieger. Ein recht harmonischer Dreiklang. Bloß sehr riskant. Wie ich schon sagte, drei Jahre Zuchthaus oder etwas darüber, wenn es nicht den Kopf kostet.«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Anna.
    »Habe ich denn nicht deutlich genug geredet? Wir suchen dieses amerikanische Schwein, das hier in der Nähe abgesprungen ist. Irgendwo, zum Teufel, muss der Kerl doch stecken. Und wir werden ihn finden, selbst wenn wir ihn tot finden. Ist für ihn vielleicht sogar besser, dann brauchen wir ihn nicht mehr umzulegen.«
    Anna spürte, wie es ihr ganz kalt über den Rücken lief. Aber da schwenkte die Stimme schon wieder auf die Ebene warmer

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