Licht vom anderen Ufer
herauszulassen.
»Auf geht’s, Buam. Nachher packen wir’s halt wieder, in Gottes Namen. Nur sagen, wenn einer der Herren noch nicht ausgeschlafen hat.«
Aber es ging nichts mehr »auf« bei den Buam, denn die Franzosen wussten besser Bescheid als ihr Wächter. Sie hatten die ganze Nacht kein Auge zugetan, standen gähnend herum, blinzelten in den jungen Tag mit dem Schnee und standen nicht mehr still. Der, der am besten Deutsch sprach, trat auf den Unteroffizier Eichlmaier zu, lächelte ihn gutmütig an und sagte:
»Nun gib dein Gewehr schon her, Vater, und geh heim!«
»Was denn? Was denn?«, staunte Eichlmaier. »Ist denn der Krieg schon aus?«
»Er wird in einer Stunde aus sein«, wurde ihm versichert.
Und weil die Gefangenen immer schon mehr gewusst hatten als ihr Wächter, hatte Eichlmaier auch jetzt keinen Grund zu zweifeln. Er schnaufte ein paarmal so tief, als wäre soeben eine Zentnerlast von ihm gefallen und streckte sein Gewehr hin.
»Da habt’s es, die Knarren. Und somit bin ich halt jetzt euer Gefangener.«
»Was sollten wir denn mit dir«, lachte Jean ihn herzhaft an, nahm ihm die Mütze ab und setzte sie selber auf. »Du warst immer wie ein Vater zu uns.« Sie steckten ihm die Taschen mit Zigaretten voll und schoben ihn ins nächste Bauernhaus, damit er dort seine Uniform ausziehen und sich in einen Zivilisten verwandeln konnte.
Dann machten sich die Franzosen auf, um den Schleicher festzunehmen. Aber das Nest war bereits leer.
Um diese Stunde setzten sich in Kulbinsegg ein paar Panzerabteilungen der Amerikaner in Bewegung und fuhren auf Blockstein zu. Sie hielten nur noch kurz an der Stelle, wo im Wald der Schütze von gestern Abend immer noch lag. Der Schnee hatte ihn zugedeckt, nur die braunen Stiefelschäfte ragten ein wenig heraus und glänzten im Licht der Morgensonne, die über die Berge heraufstieg. Dann fuhren sie wieder weiter. Kein Schuss fiel, nichts deutete darauf hin, dass Blockstein verteidigt werden sollte.
Nur ein Mann brachte den Mut auf, mit einer weißen Fahne den Amerikanern entgegenzugehen. Sein Gesicht war zerschunden und zerschlagen. Mit seinen krummen Säbelbeinen marschierte der Urban Loferer dem Geklirr der Panzerketten entgegen, blieb dann mitten auf der Straße stehen, winkte mit der Fahne und schrie aus Leibeskräften: »Heil unseren Befreiern!«
In diesen ersten Stunden wäre der Tod noch recht billig zu haben gewesen in Blockstein. Aber es zeigte sich, dass die Masse sich recht gut gehalten hatte in den Jahren des Krieges und dass sie denjenigen keinen Anlass geboten hatte zur Rache, die in diesen ersten Stunden die Macht in der Hand hatten. Und das waren in diesem Fall nicht einmal die Amerikaner, sondern die ausländischen Zwangsarbeiter. In Blockstein wurde nicht geplündert und nicht vergewaltigt. Sie suchten alle nur nach einem. Aber der Schleicher war wie vom Erdboden verschwunden, seit er die Amerikaner auf der Landstraße als Befreier begrüßt hatte.
Wahrscheinlich, weil es dort am bequemsten war und das Gasthaus »Zu den vier Aposteln« zudem in der Mitte des Dorfes lag, hatte auch der amerikanische Kommandant, ein Major Mullar, seine Befehlsstelle hier im Nebenzimmer aufgeschlagen. Je höher die Sonne stieg, desto mehr schmolz der Schnee wieder dahin, und nur mehr die Blüten leuchteten über den Dächern der Häuser. An den Berghängen hielt sich der Schnee allerdings noch bis gegen Mittag. Vorher aber kam über einen der verschneiten Hänge, sich an den Händen haltend, ein recht merkwürdiges Paar herunter. Der Mann trug einen amerikanischen Fliegeranzug, das Mädchen einen silbergrauen Lodenumhang über einem geblümten Dirndlkleid. Sie trugen beide die Stirn hoch und die Sonne flimmerte in ihrem Blondhaar.
Bevor sie die Brücke über die Riss überquerten, blieben sie stehen. Sie sahen zwischen den Häusern des Dorfes und in den Hofgevierten überall die mächtigen Panzerkolosse stehen und ein schwarzer Soldat zerschlug mit dem Gewehrkolben auf dem Dorfplatz gerade eine Hitlerbüste, die sie aus dem Rathaus geholt hatten.
Anna wollte sich von ihrer tapferen Seite zeigen und sah Oliver gerade in die Augen. »Nun sollst du halt Glück haben, Oliver.«
Er nickte ihr zu. »Es wird schon alles recht werden, Anna.«
Das Glück, auf das Anna hoffte, sollte sein, dass der Flieger Oliver Pratt noch ein paar Wochen hier bleiben durfte. Sie gaben sich beide diesem schönen Wahn hin, sich nicht mehr trennen zu müssen.
»Soll ich nun noch weiter
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